Bitterer Chianti
gekreuzt.»
«Gilt das nicht für alles? Ich meine, wenn der eigene Stil die Mode trifft?» Frank spürte, wie der Winzer sich langsam entspannte; gleich hätte er ihn da, wo er ihn haben wollte. Er musste einfach so sein, wie er war, knorrig, radikal, widerspenstig, und sich dabei wohl fühlen, dann brauchte er nur im richtigen Moment abzudrücken.
«Es gibt Winzer, die fordern, dass dem Chianti Classico 40 Prozent anderer Rebsorten beigemischt werden sollen. Die haben zu viel Merlot und Cabernet Sauvignon für ihre Super Tuscans angepflanzt und sind darauf sitzen geblieben. Die Mode ist vorbei, die Preise waren zu hoch, hinzu kam der drastische Verkaufsrückgang in den USA, auch Deutschland kauft wenig, keine Qualität, Hauptsache billig.» Wenn dieser Mann seine positive Seite nach außen kehrte, das, was er an Stärke besaß, sah er großartig aus – und Frank machte die Aufnahme, auf die er gewartet hatte.
«Lassen Sie uns zu Scudiere gehen. Die Sonne steigt, das Licht wird härter ...»
Malatesta grinste geheimnisvoll. «Vorher muss ich Ihnen noch zeigen, was mir am meisten Freude macht.» Er zog Frank ungeduldig über den mit Kies bestreuten Innenhof zu einer unter Weinranken und Glyzinien versteckten Tür, öffnete sie und betrat – den Pferdestall. In einer der vier halbhohen, gitterlosen Boxen stand eine braune Stute – und neben ihr, noch etwas staksig auf den Beinen, ein Fohlen mit vier weißen Hufen. «Um zwei Uhr heute Nacht ist es gekommen», sagte Malatesta stolz, als sei er der Vater. «Ich habe kein Auge zugetan. Ist es nicht wundervoll?»
Er hielt der Stute einen Apfel hin, den sie gerne fraß, wobei sie aber mit ihrem Körper ihr Fohlen abschirmte. Malatesta öffnete die Box, kniete sich neben dem Fohlen ins Stroh und lächelte.
Hier hätte ich ihn porträtieren müssen, dachte Frank. Je mehr ich über ihn weiß, desto besser trifft das Bild den Charakter, im Guten wie im Bösen. Nur bei diesem Job gab es nichts Böses, alles hatte positiv zu sein, es gab nur blauen Himmel, alle Restaurants waren erstklassig, die Weine Spitzengewächse und die Menschen edel... die Wirklichkeit wurde ausgeblendet.
Zwischen den Boxen führte eine Tür ins Freie, sie gab den Blick auf den Nordhang frei, eine Weide, die sich nach unten bis zum Weg am Fuß des Hügels zog.
«Diese Seite ist für den Wein ungeeignet», hörte Frank den Winzer sagen, aber er war mehr damit beschäftigt, nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten, denn drei ausgewachsene Pferde kamen im Galopp hochgeprescht. Erst als Malatesta die Hand hob, blieben sie direkt vor ihm stehen. Frank hatte sich hinter der Tür in Sicherheit gebracht.
Malatesta führte Frank außen um das Haus herum, er schaute zu den hohen Steinmauern hinauf. «Familienbesitz?»
« Ovviamente », sagte Malatesta, «selbstredend. Aber mein Name täuscht. Wir haben mit dem Geschlecht der Malatestas nichts zu tun. Meine Vorfahren waren Landwirte, seit Generationen, nicht ganz arm, wie man sieht, aber auch keine Fürsten. Wir hatten auch einen berühmten Anarchisten in der Familie, der hat bis zu Mussolinis Machtergreifung eine Zeitung herausgegeben, aber sonst haben wir immer hart arbeiten müssen.»
Für Franks Geschmack untertrieb Malatesta ein wenig. Wer vor hundert Jahren hier ein derartiges Haus besessen hatte, musste keine Ställe ausmisten oder im Spätherbst die Reben schneiden. Dafür hatte er Kellermeister, Önologen und einen Consultore wie Stefano Scudiere. Häuser, der Landbesitz, auch Eichenwälder gehörten zu den meisten Gütern, inklusive Jagdrecht. Dieser Reichtum ringsum verunsicherte Frank. Wer hatte den Preis dafür bezahlt? Die Besitzer oder die Landarbeiter? Wenn er sich mit einem der Winzer verglich – was konnte er vorweisen? Bilder, Illusionen, Papier. Was waren die Geräte in seiner kleinen Dunkelkammer wert? Nichts, wenn er sie verkaufen wollte. Das Teuerste war die Blitzanlage: 15 000 Euro hatte sie ihn gekostet, gebraucht würde man ihm vielleicht noch 4000 dafür geben. Sein alter Wagen war in der Werkstatt, er fuhr den seines Vaters, ganz nette Möbel in der Wohnung, Bücher, aber alles nichts wert...
«Vieni qui! Komm hierher!» Es war Scudiere, der Frank aus seinen Gedanken riss. Er war ein gutes Stück den Hang heruntergekommen – Malatesta war noch einmal ins Büro zurückgekehrt. Frank sah den Kopf des Consultore in etwa dreißig Meter Entfernung ab und zu aus dem Blättermeer auftauchen. Sollte er ihm doch von dem Überfall
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