Bitterer Chianti
nicht viel unter Leute. Mit Kollegen, ja, da treffe ich mich manchmal zum Essen im Restaurant, wie neulich in Siena.»
Sie griff nach der Flasche im Weinkühler, einem jungen, frischen Chianti Classico von 2002 mit wenig Tannin. Er war lediglich im Edelstahltank ausgebaut worden – ohne jeden Schnickschnack, senza cianfrusaglie , wie sie es nannte. Als der Fisch aufgetragen wurde, war die Flasche bereits leer, und die Köchin brachte einen Weißwein.
«Es ist eine Cuvée, ich habe Chardonnay mit Pinot blanc verschnitten. Der Wein wird nicht im Stahltank vergoren, wie bei Weißwein üblich, vielmehr findet die Gärung in kleinen französischen Fässern statt...»
«Barrique, aus Eiche, so viel weiß ich schon», sagte Frank und kam sich wichtigtuerisch vor.
Antonia Vanzetti lächelte nachsichtig. « Giustissimo . Jeden Tag lernt man ein wenig, wenn man hinschaut. Der Wein bleibt für ein Jahr im Fass auf der Hefe, sur lie , wie die Franzosen sagen. Die Idee dazu habe ich von einem Freund, Sebastiano Castiglioni, vom Weingut Querciabella. Haben Sie da auch fotografiert?»
«Kommt noch, es ist eines der letzten auf meiner Liste», sagte Frank und probierte. Der Wein war wunderbar weich, er war rund und voll und gleichzeitig frisch, dabei hatte er nichts von den Spitzen, die er manchmal bei Weißwein bemängelte. Aber übers Aroma hätte er nichts sagen können, so vielschichtig war das Bukett. Auch fehlte der Geschmack des Holzes, den er bei einigen Rotweinen wahrgenommen hatte, Nelke, oder etwas Ähnliches.
«Machen Frauen andere Weine als Männer?», fragte Frank, nachdem Antonia Vanzetti ihm erklärt hatte, wie die Trauben gezogen wurden und wie sie den Wein machte.
«Eine interessante Frage», antwortete die Winzerin und musterte Frank, als versuchte sie ihn zu ergründen, sich darüber klar zu werden, was das für ein Mann war, der ihr gegenübersaß – mit der gebotenen Vorsicht.
«Ich weiß nicht, ob es einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Winzern oder Önologen gibt. Andere Weine machen sie auf jeden Fall. Frauen achten mehr auf Balance, auf Eleganz und Harmonie. Bei Männern kommt es auf den ersten Eindruck an, auf das, was man sofort entdeckt, dann auf die Struktur und das Gewicht. Mit der Mode gehen Männer auch ganz anders um.»
«Haben Frauen die bessere Nase oder den besseren Geschmack?»
Antonia Vanzetti legte das Besteck beiseite. «Sie sind besser beim Testen! Da wir Kinder kriegen und sie verteidigen müssen, ich meine das natürlich entwicklungsgeschichtlich, war es wichtig, Feinde schon von weitem zu wittern. Kann sein, dass es hormonell bedingt ist, jedenfalls riechen wir besser ... wir haben sehr früh Erfahrung mit Düften, mit Cremes, mit Parfüm, mit den Düften der Küche ...»
«Und was ist mit den Frauen, die sich hinter Parfümwolken verbergen?»
«Nichts anderes als mit den Männern, deren Zigarrenqualm die Luft verpestet. Mein Mann ist so einer», sagte sie nach einer kurzen Pause. «Wenn er mal hier ist, dann muss ich danach zwei Wochen lang lüften.»
«Sie mögen ihn nicht besonders?»
Statt einer Antwort stand Antonia Vanzetti auf, begann den Tisch abzuräumen und trug zusammen mit Frank das Geschirr in die Küche.
«Er hat mir die Kinder weggenommen beziehungsweise sie auf ein Internat geschickt. Eine gerechte Lösung nannte er das. Er hat mich von Anfang an betrogen, trotzdem verweigert er mir die Scheidung. Er hat gedroht, mich ohne einen Cent dastehen zu lassen, wenn ... wenn ich die Scheidung einreiche. Ihn mögen?» Antonia Vanzettis Augen funkelten, ihre linke Hand ballte sich zur Faust.
«Damals hat er mich hierher geschickt, man könnte es auch verbannt nennen, das haben die Florentiner schon immer mit ihren Feinden gemacht. Und heute würde er mir am liebsten die Tenuta wegnehmen. Ich mache Gewinne, meine Weine sind gefragt, prämiert und teuer. Aber alles trägt seinen Namen: Vanzetti. Ich habe zwar nur das Recht, hier zu arbeiten, aber die Gewinne gehören mir, und die investiere ich. Als er mir das zugesichert hat, hat er nicht geglaubt, dass ich einen Cent verdienen würde ...»
Nach einer Pause fragte sie ihn: «Sie sind geschieden. Haben Sie sich friedlich getrennt?»
«Nein», sagte Frank, und ihm schwante Unheil. Wenn er eine Frau kennen lernte und Interesse zeigte, kam das Gespräch unweigerlich auf das Thema, und das war keineswegs ein erbauliches.
Die Winzerin brachte ein Tablett mit Grappa und Amaretto aus der Küche, Frank
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