Bitterer Chianti
ließ die Momente vor seinem inneren Auge Revue passieren. Er fühlte sich leicht und gleichzeitig bedrückt.
Natürlich beschäftigte ihn die Frage, ob eine Verbindung zwischen den Unglücksfällen und den Maklerofferten bestand. Jetzt hatte also auch Wanda Livonardi, Antonias Freundin, ein Angebot bekommen. Es blieb abzuwarten, ob auch da was passierte, er musste sowieso dorthin und ihr Weingut fotografieren. Der Winzer, dem man anscheinend den Wein verdorben hatte, war ziemlich verzweifelt gewesen ... War Frank eigentlich der Einzige, der das alles sah, der Augen im Kopf hatte? Waren alle nur mit sich selbst beschäftigt? Nicht auszuschließen, dass jemand den Brand bei Malatesta gelegt hatte. Aber mehr noch als das hatten ihn Antonias letzte Worte geschockt.
Sie hatte Angst vor dem Vater ihrer Kinder. Der Mann musste verdammt viel Macht haben, oder sie hatte ihn früher sehr geliebt, ja, wenn sie ihn mit achtzehn geheiratet hatte, dann die beiden Kinder kurz hintereinander – und danach die Wirklichkeit. Wenn er tatsächlich so reich war, konnte er sich die besten Anwälte leisten, andere Menschen waren ihm verpflichtet, er verfügte über Beziehungen in alle Richtungen, in die Finanzwirtschaft und die Politik. Da war es ein Leichtes, der ungeliebten Gattin das Leben zur Hölle zu machen. Reich wurde man nicht mit einem guten Charakter, dazu war das Geschäft zu hart. Frank hatte bei seinen Reportagen genug gesehen, um das beurteilen zu können, auch wenn er «nur» fotografierte, wie viele es ausdrückten.
Das ist in meinem Beruf auch nicht viel anders, dachte Frank und sah einen Fuchs über die Straße huschen. Im Stillen verfluchte er die Skrupel, die ihm jede Manipulation verboten. Manche waren da nicht zimperlich. Sie stellten die Bilder einfach so, wie sie sie brauchten, und andere zerstörten ihre Motive nach der Aufnahme. So konnte niemand sonst dasselbe Bild machen. Entweder redete man den Auftraggebern nach dem Munde, oder man war aus dem Geschäft und bekam die abgenagten Knochen vorgeworfen.
Antonias Furcht saß tief. Ob Hannelore jemals Angst vor ihm gehabt hatte? Er glaubte es nicht. Er war seiner Ex-Frau wahrscheinlich nur deshalb lästig geworden, weil er anders war, als sie ihn haben wollte. Er war ein Einzelgänger gewesen und geblieben, eine Flipperkugel, die ab und zu einen Anstoß bekam und zwischen den Polen hin und her schoss, mit dem bisschen eigenen Willen, den einem die Erziehung und die Umstände ließen. Und Antonia saß da auf ihrem Schloss, mit ihren Angestellten, eingesponnen in ein Netz von Zwängen, und verschwendete ihre Liebe an den Wein. Schmeckte er deshalb so wunderbar?
Frank erreichte die Asphaltstraße und war nach zwei Kilometern an der Kreuzung nach Gaiole. Er bog links ab in Richtung Pianella und musste höllisch aufpassen, um in der Dunkelheit die Abzweigung nach San Sano nicht zu verfehlen. Einen Wegweiser gab es nicht, oder er hatte ihn bislang übersehen. Hundert Meter weiter ging es durch Schotter runter zum Fluss und über die Schlaglochpiste, dann steil bergauf. Kein Wagen begegnete ihm, nirgends ein Licht. Trotzdem war er sicher, dass er die Verbindung nach Vagliagli finden würde. Als er schließlich den Wegweiser zum Podere Rondine sah, bog er ab und konnte aufatmen.
Jetzt noch die scharfe Linkskurve, dann über die alte Bogenbrücke ... was war das? Ein Träger, nein, ein Pfeiler, der aus dem Bachbett vor ihm ragte, oder eine riesige Schaufel? Frank trat hart auf die Bremse, nur der Gurt bewahrte ihn davor, dass sein Kopf aufs Lenkrad prallte. Der Wagen stand – knapp einen Meter vor der Schlucht. Dahinter ein Loch, und wo die Brücke gewesen war, ragte die Schaufel eines Baggers aus der Tiefe, so wie im Gruselfilm die Hand des Toten aus dem Grab. Frank lief ein Schauer über den Rücken. Hier kam er nicht mehr durch.
Der Bagger musste erst die Begrenzung der Straße gerammt und dann die Brücke zum Einsturz gebracht haben, danach war er selbst in die Schlucht gestürzt, ein unüberwindliches Hindernis. Ob der Fahrer verletzt war?
Frank stieg mit wackeligen Beinen aus. Eine Katastrophe nach der anderen, kein Tag, der glatt verlief, kein Abend, an dem er Ruhe fand. Bei Antonia war es wunderbar gewesen, aber weshalb musste die Haushälterin im entscheidenden Moment auftauchen und die Stimmung verderben? La maledetta strega! Und jetzt das ... War vor ihm schon jemand hier gewesen? Sollte er sofort Hilfe holen oder erst einmal selbst nachsehen, ob der
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