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Bitterer Jasmin

Bitterer Jasmin

Titel: Bitterer Jasmin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyny Anthony
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herunter. Er trug einen Kinderwagen an der Vorderseite. Danach tauchte eine ältere Frau in braunem Mantel und Hut auf. Sei hielt pro forma das andere Ende des Wagens, ohne sich allzu sehr anzustrengen. Der Wagen wurde sanft aufs Pflaster gesetzt, dann ging der Diener wieder ins Haus. Die Frau glättete die Decken. Im Wägelchen saß ein kleines Mädchen in rosa Mantel und Mütze, eine Decke über den Beinen. Sie drückte einen weißen Teddybären an sich.
    »Das ist sie«, sagte Peters leise.
    Madeleine antwortete nicht, sie beobachtete die Szene genau.
    Der Kinderwagen wurde an ihrem Auto entlang in Richtung Belgrave Place geschoben. Peters startete den Motor und fuhr an den beiden vorüber. Am Ende der Straße wendete er und folgte vorsichtig dem Kindermädchen.
    »Wahrscheinlich geht sie in den Park. Dann beginnt deine Arbeit.«
    Das Kindermädchen schritt energisch aus – das erleichterte ihre aufgestauten Gefühle. Sie überquerte die Straße beim Buckingham-Palast und steuerte auf den St.-James-Park zu: die Route ihres Lieblingsspaziergangs. An diesem Morgen irritierten sie die Touristengruppen, die auf die rotuniformierten Wachen starrten, obwohl die königliche Flagge nicht aufgezogen war und daher jedermann wußte, daß die Königin gar nicht hier war.
    Das Kind reagierte sehr empfindlich auf ihre Stimmung, es wußte, wann es Fragen stellen konnte und wann nur ein zorniges ›Sei still‹ zu erwarten war. Am Fuße des Wagens lag ein Plastiksäckchen mit Brotkrumen. Seit zwanzig Jahren brachte das Mädchen die Kinder anderer Frauen in den St.-James-Park und zeigte ihnen, wie man die Wasservögel fütterte.
    Sie fand eine leere Bank und setzte sich. Der Rücken tat ihr weh, vom schnellen Gehen war sie müde.
    »Darf ich raus?« fragte Lucie schüchtern.
    »Gleich«, raunzte sie. »Wart noch ein bißchen.«
    Sie konnte den Vorfall noch immer nicht fassen. Als sie zu Mrs. Field hinuntergegangen war, hatte sie ihr klarmachen wollen, daß es so nicht weiterging. Es war unmöglich, daß eine Mutter einfach hineinmarschierte und das Kind zu jeder Zeit aufweckte. Mrs. Field hätte wirklich mehr Vernunft zeigen müssen. Sie war aber gar nicht dazu gekommen, ihre Meinung vorzubringen. Mrs. Field hatte ihr gekündigt, das zustehende Gehalt ausbezahlt und ihr ganz höflich erklärt, daß sie mit dem Kind verreise und ihre Dienste nicht mehr benötigt würden. Schade, daß sie vor lauter Verblüffung bei der Szene nicht besser abgeschnitten hatte. Das kleine Mädchen saß brav im Wagen.
    »Was für ein schönes Kind«, bemerkte plötzlich eine Frau neben ihr. Die Kinderfrau drehte sich überrascht um – es war ihr völlig entgangen, daß sich jemand neben sie gesetzt hatte. Normalerweise unterhielt sie sich gern mit fremden Leuten, und es freute sie, wenn Lucie bewundert wurde. Die junge Frau sprach mit ausländischem Akzent, sie war gut angezogen und lächelte.
    »So hübsch«, sagte sie. »Sie sorgen für sie?«
    »Ja.« Ärger stieg in ihr auf. »Einfach aus dem Haus gewiesen zu werden … In zwanzig Jahren hat das noch keine Mutter gewagt.«
    »Wie alt ist sie?«
    »Drei Jahre«, antwortete sie. »Ich betreue sie seit ihrer Geburt. Komm mal her, Kleine, du darfst jetzt herumlaufen. Aber geh nicht zu nahe ans Wasser.« Sie hob das Kind aus dem Wagen und strich ihm das Mäntelchen glatt. »Spiel hier bei mir, wo ich dich sehen kann. Zeigst du mal der Dame deinen Teddy?«
    Madeleine Labouchère nahm das Stofftier einen Moment lang in die Arme; sie lächelte dem kleinen Mädchen zu, und Lucie lächelte zurück. Für ihr Alter war sie ziemlich klein, blaß und verglichen mit den dicken, verwöhnten Kindern reicher Libanesen dünn. Sehr munter schien sie auch nicht zu sein.
    »So ein liebes Dingelchen«, murmelte die Pflegerin und spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen. Lucie würde ihr fehlen und das schöne Haus. Das bequeme Leben mit so viel Dienerschaft, die auch für sie da war. Alles würde ihr fehlen. Sie holte ihr Taschentuch heraus und putzte sich die Nase.
    »Ich weiß gar nicht, wie das ohne mich weitergehen soll. Die Kleine kennt ja nur mich als Mutter, das arme Ding.«
    »Du meine Güte«, sagte Madeleine. »Gehen Sie denn weg?«
    »Ja.« Wieder schnüffelte sie und schnäuzte sich erneut. Mitgefühl war genau das, was sie jetzt brauchte. »Man hat mir gekündigt. Einfach so. Die Mutter hat beschlossen, sich selbst um das Kind zu kümmern. Wer weiß, wie lange das anhalten wird.«
    Madeleine

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