Bitterer Jasmin
rastete er eine Weile. Ihm fiel ein, daß er noch Schlüssel zum Eingangstor der Villa hatte, und er suchte verzweifelt in seinen Hosentaschen. Aber beide Schlüssel sowie sein Geld waren offenbar in der Klinik in Verwahrung genommen worden, er mußte also einbrechen. Allzu nahe beim Haus durfte er den Wagen nicht abstellen, denn der Diebstahl wurde bestimmt bald über Funk durchgegeben. So parkte Peters in einer Seitenstraße und ging die letzten paar hundert Meter zu Fuß. Die Uhr hatte man ihm auch abgenommen, er hatte keine Ahnung, wie spät es war. Als er beim Haus ankam, war es dunkel, kein Fenster war mehr erleuchtet. Er hörte das Meer gegen die Felsen schlagen. Das Haupttor war geschlossen. Man hatte ihn zwar gelehrt, wie man Schlösser aufbrechen konnte, aber er hatte nicht einmal eine Haarnadel dafür. Also blieb ihm nichts übrig, als zum Strand zu gehen und zu den Felsen zu schwimmen, um zur Villa zu gelangen.
Zum Glück war es eine helle Nacht. Als er das Ufer erreichte, schwankte er wie ein Betrunkener. Er hatte über einen Zaun klettern müssen und war die dreihundert steilen Steinstufen zum Sandstrand der Nachbarvilla hinuntergestolpert. Sie gehörte einem deutschen Industriellen, der einen riesigen Swimming-pool besaß und nie im Meer schwimmen ging. Peters plumpste in den Sand und kämpfte gegen die Schwäche an, die ihn beinahe aufgeben und einschlafen ließ. Vor ihm zischten und murmelten die Wellen.
Er wußte, daß er vor dem Schwimmen ausruhen mußte. Es gab zwar hier keine Strömung, aber etwas stärkere Wellen würden ihn in seinem jetzigen Zustand wahrscheinlich schon überfordern. Ganz glatt, wie schwarze Seide, lag das Wasser vor ihm, das Mondlicht malte einen Silberstreif darüber. Peters lehnte sich gegen die Felsen und schloß die Augen. Er hatte schon andere Verletzungen ausgehalten, dank seiner guten Kondition. Eine Schusswunde wäre aber leichter zu ertragen gewesen als Schwäche und Schwindelgefühle dieser Gehirnerschütterung. Peters hatte immer an die Kraft des menschlichen Willens geglaubt. In Chile hatte er Menschen kämpfen und unter Bedingungen überleben gesehen, die normalerweise zum Tod geführt hätten. Fanatismus und Hingabe an eine Sache waren die treibenden Kräfte seines eigenen Lebens gewesen. Jetzt pumpte ihm Angst Adrenalin ins Blut. Eine ganz entsetzliche Angst – die die Schmerzen des Unfalls überwand, ihn zwang, aufzustehen, obwohl sein wirrer Kopf um Ruhe bettelte. Er band sich die Schuhe um den Hals und watete langsam ins Wasser. Selbst als Kind hatte er nie gebetet, denn seine Eltern waren Agnostiker, die ihren Kindern keine religiöse Erziehung gaben. Jetzt hätte er am liebsten um Hilfe gebetet, denn er wußte, daß er schwimmen mußte, um Eileen vor der Morgendämmerung zu erreichen. Einen Teil der Strecke schwamm er auf dem Rücken, seine gebrochenen Rippen machten ihm Brustlage und Kraulen unmöglich; der Beinschlag war dagegen stark genug, ihn weiterzubringen. Das Wasser hatte eine angenehme Temperatur. Das letzte Stück schwamm er, zähneknirschend vor Schmerzen, auf dem Bauch und kletterte dann auf die Felsen unter dem Haus, auf denen Madeleine so gerne in der Sonne lag. Die fünfzig Stufen zur Terrasse hinauf schienen für ihn jetzt steil wie ein Berg. Das Salzwasser war durch den Verband in die Wunde gedrungen, er spürte es nicht einmal. Die Mühe, die enge, steile Treppe zu bewältigen, verlangte seine ganze Konzentration. Auf der Terrasse brach er ohnmächtig zusammen, direkt vor dem Schlafzimmerfenster im ersten Stock. Als er wieder zu sich kam, war es bereits hell. Aus der Ohnmacht war er in einen tiefen Schlaf gesunken, der die ganze Nacht anhielt. Er blinzelte und sah sich verwirrt um. Die nassen Kleider waren ihm am Körper getrocknet, auf der Haut war das Salz verkrustet. Er rappelte sich hoch und blieb ganz still lauschend stehen. Kein Laut drang aus dem Haus. Die Sonne war noch nicht aufgegangen; am Schein der Dämmerung schätzte er, daß es fünf Uhr morgens sein mußte. Sein Kopf schmerzte immer noch höllisch, aber er fühlte sich schon kräftig. Die Terrassentüren waren versperrt, ein fester Druck reichte jedoch aus, um sie zu öffnen. Peters betrat die Halle durch das Wohnzimmer und horchte wieder. Achmed hatte einen leichten Schlaf, meistens stand er gegen sechs Uhr auf. Er schlich zur Treppe vor und sah hinauf. Eileen war bestimmt nicht oben; man hatte sie wohl in den Keller gebracht. Aber erst mußte er den Algerier finden.
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