Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Instinkt gefolgt. Trotzdem wunderte er sich jetzt noch über seine spontane Eingebung.
Doch nach einer Weile dachte er, was soll die Grübelei? Eigentlich kann es mir piepegal sein. Auf jeden Fall hab ich's genau richtig gemacht. Auch wenn der Falbinger mich nicht haben will: Das heute Abend war die Rolle meines Lebens. Ein echtes Amadeus-von- Steinberg-Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Guido Dieckmann
Schleichendes Gift
B ÖHMEN , IM H ERBST 1741
Franz von Gersdorf wurde unsanft geweckt, als seine Kutsche in voller Fahrt durch ein mit Wasser gefülltes Schlagloch donnerte. Stöhnend rieb sich der junge Mann die Schulter. Ihm war kalt, trotz des Mantels, den ihm sein einziger Mitreisender, ein gutmütiger Pfarrer, über die Knie gelegt hatte. Dem Geistlichen schien das Schaukeln des Wagens trotz seines Alters - er zählte gewiss schon über sechzig Jahre - nichts auszumachen. Zwischen zwei Pfeifenzügen schenkte er Gersdorf ein Lächeln und zwinkerte ihm zu. »Na, junger Freund, ich habe schon befürchtet, Sie würden überhaupt nicht mehr aufwachen.«
Gersdorf murmelte einige Dankesworte wegen des Mantels, aber der Pfarrer winkte ab, als er ihn zurückgeben wollte. »Ist doch nicht der Rede wert. Behalten Sie ihn noch ein Weilchen. Ich bin an den Nebel und die Kälte hier gewöhnt.« Er warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster der Kutsche. Draußen dunkelte es bereits. Der Kutscher hatte eine Laterne entzündet, damit die beiden Pferde im Geschirr nicht vom Weg abkamen. Die kurvenreichen Straßen, die geradewegs durch die dichten böhmischen Wälder führten, waren selbst für Einheimische unsicher, wenn es finster war. Gersdorf unterdrückte einen Fluch. Er hatte keine Lust auf eine weitere Nacht in einer Herberge, wo er sich möglicherweise einen verwanzten Strohsack mit anderen Reisenden teilen und für ein Stück Braten und einen Krug Bier ein Vermögen hinlegen musste. Doch dem Pfarrer gelang es, den jungen Mann zu beruhigen. »Keine Angst, mein Freund, heute Nacht werden Sie in Krumau schlafen. Es ist nicht mehr weit bis zur Stadt. Ich kann die Moldau schon von hier aus riechen.«
Gersdorf atmete erleichtert auf. Riechen konnte er zwar nur den Käse, den der Pfarrer in einem Beutel mit sich führte, aber er vertraute auf dessen Ortskenntnis. Während er höflich dem munteren Geplauder seines Reisegefährten lauschte, der von einem Besuch bei einem befreundeten Lehrer in Eger berichtete, holte er Marias Brief und das kleine goldene Medaillon aus der Innentasche seines Gehrocks. Maria war seine Verlobte, die einzige Tochter eines Arztes, der kurz nach der Krönung der Kaiserin Maria Theresia an den Pocken gestorben war. Nachdem Maria während eines Aufenthalts in Wien seinen Antrag angenommen und ihn damit zum glücklichsten Mann der Welt gemacht hatte, war sie zu ihrem Onkel nach Krumau gezogen, wo sie sich mit Feuereifer in die Vorbereitung ihrer Hochzeit stürzte. Gersdorf bedachte das winzige Porträt seiner Verlobten, das er in dem Medaillon aufbewahrte, mit einem sehnsuchtsvollen Blick. Dann zeigte er es dem Pfarrer, der seine Pfeife aus dem Mund nahm und das Bild mit einem gütigen Schmunzeln betrachtete.
»Eine hübsche Jungfer, mein Bester. Noch dazu aus guter Familie, wie mir scheint. Dafür habe ich einen Blick. Ich beglückwünsche Sie. Allerdings scheint sich Ihre Freude über das Wiedersehen mit ihr in Grenzen zu halten. Sie machen mir einen recht beunruhigten Eindruck, wenn ich das mal sagen darf.« Er lachte. »Sie werden doch so kurz vor der Hochzeit keine kalten Füße bekommen, oder?«
Franz von Gersdorf errötete. »Nein, das ist es nicht. Ich freue mich auf die Hochzeit. Als Maria mich in Wien besuchte, schmiedeten wir eifrig Pläne und beschlossen, sogleich nach meinem Rigorosum vor den Altar zu treten. Ich möchte Arzt werden, müssen Sie wissen.«
»Das dachte ich mir schon«, sagte der Pfarrer. Er war ernst geworden und betrachtete den jungen Mann nun mit dem Interesse eines Beichtvaters, dessen Aufgabe es war, einem verunsicherten Schaf seiner Gemeinde Mut zuzusprechen. »Ich habe den Namen von Gersdorf schon gehört. Diente Ihr Vater nicht als Leibarzt Seiner Majestät, des verstorbenen Kaisers Karl VI.?«
»Mein Onkel«, gab Gersdorf widerstrebend zu. Er wollte nicht unbescheiden klingen, konnte aber nicht verheimlichen, dass er stolz auf seinen berühmten Verwandten war, der am kaiserlichen Hof zu Wien ein- und ausging.
»Dann vermute ich doch, dass Sie
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