Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
ausgewandert. Doch ich habe trotzdem Kontakt zu ihr aufgenommen und tatsächlich haben wir eine echte Beziehung - wenn auch nur in Briefen - zueinander entwickelt. Zu einem Treffen ist es leider nie mehr gekommen.«
Beate sah verträumt vor sich hin. Seufzend ließ sie für einen Moment Messer und Gabel ruhen, bis sie entschlossen wieder ihrem Schnitzel ä la Holstein zu Leibe rückte.
»Sie hat dort drüben wieder geheiratet. Mehrfach, denn leider wurde sie immer wieder Witwe. Doch sie blieb jedes Mal gut versorgt zurück. Vor ein paar Jahren ist sie beim Schwimmen in Uruguay ertrunken. Aber sie hatte ein gutes Leben. Auf meine Mutter!«
Obwohl ein Tränchen in ihrem Augenwinkel funkelte, prostete Beate ihm fröhlich zu. Brav hob auch Amadeus sein Glas.
»Schade, dass ich sie nie kennenlernen durfte. Ich habe übrigens viel von ihr. Nicht nur, dass ich Apothekerin geworden bin, genau wie sie. Ich habe ihre Augen, ihr blondes Haar, bin ihr wie aus dem Gesicht geschnitten und sie meinte, auch vom Wesen her seien wir erstaunlich gleich. Ach ja, leider habe ich nicht nur ihr ganzes Hab und Gut, sondern wohl auch die Glücklosigkeit in meinen Beziehungen von ihr geerbt.«
Sie sah ihn mit einem traurigen Lächeln an, bevor sie sich daran machte, die letzten Reste des Hauptgangs zu verspeisen. Amadeus dämmerte, dass er diese dicke, kleine Person bisher völlig unterschätzt hatte. Und ihm wurde klar, dass er jetzt wirklich eine gute Ausrede finden musste, weshalb er sein Leben nicht mit ihr teilen wollte. Sie war misstrauisch geworden, als er vorhin kurz seine Professionalität verloren und nicht im Brustton der Überzeugung geantwortet hatte, das war ihr deutlich anzumerken.
Beate hatte ihren Teller bis auf den letzten Krümel geleert.
»So, jetzt machen wir uns gleich ans Dessert, Amadeus. Du liebst doch Süßes, oder?«
Das stimmte. Für Süßspeisen in jeder Form ließ er alles andere stehen. Und heute, das schwor er sich, würde er nach dem letzten Bissen sofort dieses Haus verlassen und nie mehr wieder herkommen. Egal, ob sie ihn aus der Wohnung schmiss, würde er eben bei Freunden unterkriechen. Er musste sich diese Gelage nicht mehr antun, hatte auch die Schnauze voll von seiner eigenen kriecherischen, unterwürfigen Rolle, musste für diese abartige Person nicht mehr den Affen machen.
»Oh ja, bei süßen Sachen kann ich nicht Nein sagen!«, gestand er mit einem Lächeln so charmant wie Robert Redford. »Was hast du denn heute gezaubert?«
»Eine Überraschung, ein Meisterwerk!«, verkündete Beate, »du wirst sehen! Aber deine Antwort vorhin klang wirklich nicht überzeugend«, griff sie unerwartet ihren zuvor geäußerten Zweifel wieder auf und sah ihn prüfend an, »du weißt schon, was ich meine. Hast du mir vielleicht doch nicht alles gesagt?«
Amadeus spürte den Schweiß seinen Nacken hinunterrinnen. Kein Wunder bei der Hitze und nach dieser Völlerei. Gut, ich habe mich entschlossen, dieses Spiel zu beenden, sagte er sich dann. Ich muss ihr ja nichts von Jenny erzählen, damit sie sich nicht gar so betrogen fühlt. Wer weiß, welche fürchterlichen Rachegelüste sie dann entwickelt. Aus der Wohnung flieg ich sowieso. Aber womöglich lauert sie mir auch noch täglich auf, verfolgt mich am Telefon, mit E-Mails, denn irgendwie ist die ja ganz schön schräg drauf. Aber vielleicht gibt's doch einen Ausweg ... Einer plötzlichen Eingebung folgend, griff Amadeus nach ihrer Hand.
»Na ja, es hat keinen Sinn, liebste Püppi. Irgendwann würdest du es ja doch mitkriegen.«
Er setzte die zerknirschte Miene auf, die er bei Tom Hanks abgeschaut hatte, und versuchte die Speckfalte, die sich um Beates Handgelenk fräste, zu ignorieren.
»Ich habe dich nicht belogen: Es gibt keine andere Frau in meinem Leben. Aber ...«
Dramatische Pause.
»...es gibt einen anderen Mann.«
Es war ein Schock für sie, das sah er sofort. Stumm löste sie ihre Hand aus der seinen. Fast tat sie Amadeus leid. Andererseits war er froh, einen Schlusspunkt gesetzt zu haben. Jetzt fühlte er sich schon besser.
»Dann war es der, mit dem du heute Vormittag aus dem Haus gekommen bist, stimmt's?«, flüsterte sie matt.
In Amadeus' Kopf drehten sich die Gedanken. Wieso hatte sie ihn heute gesehen? War sie schon wieder im Haus gewesen? Und mit wem sollte er ...? Ach ja, Bernd, sein Nachbar, von dem er sich vor der Tür mit einer Umarmung verabschiedet hatte, weil der für ein paar Wochen nach Afrika ging. Er nickte traurig, so wie
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