Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
nicht. Er fühlte sich herrlich, bis oben hin angefüllt von blubberndem Glück. Er hätte tanzen können. Er fühlte sich - lebendig. So lebendig wie niemals zuvor.
Als er aus der Höhle kam, entdeckte er sie kniend neben dem Stein, bei dem er ihren Großvater und seinen Bruder begraben hatte. Sie schaute zu ihm auf. »Danke, Feen-Mann, dass du meinen Großvater hier der Erde zurückgegeben hast.« Dann zog sie das Messer aus der Scheide an ihrem Gürtel und begann, Zeichen in einen Stein zu ritzen.
»Was tust du da?«
Ihre Augen wurden groß vor Erstaunen. »Weißt du denn nicht, was auf den Tafeln steht, die wir von deinem Volk bekommen haben?«
»Doch«, behauptete er schnell. »Ich will es nur aus deinem Mund hören.«
»Ich ritze den Namen meines Großvaters in diesen Stein. Damit wird er ein Teil der Ewigkeit. So, wie es sein soll.«
Er sah ihr schweigend zu.
Schließlich stand sie auf und strahlte ihn an. »Also sind die Feen jetzt auch zu mir gekommen.«
Er hätte sie am liebsten sofort wieder in seine Arme gezogen. Doch er hielt sich zurück.
Rianna legte die Hand auf ihren Bauch. »Ich habe etwas gespürt, als ich heute neben dir aufgewacht bin. Tief in mir. Eine Bewegung, ganz leicht, ganz sanft. Ich weiß, was das heißt. Aber nun kann ich nicht zu meinem Stamm zurück. So etwas hat es noch nie gegeben. Sie würden es nicht verstehen. Nein, schau nicht so. Ich bin nicht traurig, auch wenn ich jetzt keine Druidin mehr werden kann. Denn du hast mir etwas viel Wertvolleres geschenkt. Du wirst mich beschützen, nicht wahr? Mich und unser Feenkind. Und vielleicht, wenn wir es richtig machen, Feen-Mann, wird dieses Kind die Welt, in der wir leben, zu einem besseren Ort machen.«
Das war keine Frage.
Er konnte nichts darauf sagen, nur nicken.
»Feen«, meinte sie, »sind ja unsterblich. Das sagen die Tafeln. Du kannst unser Kind also beschützen, bis es groß genug geworden ist, falls mir bei der Geburt etwas geschieht. Nein, schau nicht so, ich habe vor zu leben. Ich bin stark. Ich will unser Kind aufwachsen sehen. Und vielleicht findet sich ja eines Tages auch ein Partner, den es in die Arme schließen kann wie du mich, letzte Nacht. Es war das Schönste, was mir je widerfahren ist, so schön ...« Sie stockte und fuhr dann energisch fort: »Wir können gemeinsam hier oben leben, uns bei der Quelle am Weißdornbusch ein Zuhause bauen. Eine Familie sein. Du, ich und das Kind in mir. Hierher kommt niemand. Dieser Ort ist für die Leute meines Stammes verboten. Aber das weißt du ja.«
Das tiefe Vertrauen in ihren Augen hätte ihn fast schwach werden lassen. Was sollte er ihr sagen: Dass sie beide sterblich waren? Dass er dies alles vielleicht überlebte, das Kind in ihrem Leib sie aber mit großer Wahrscheinlichkeit töten würde? Dass er ein Flüchtling war, ein Renegat, ein abgefallener Worldwatcher?
Das Kind war die Hoffnung. Die Welt war aus Gedanken erschaffen, aus den guten und den schlechten, das glaubten die Stämme doch, davon war also auch sie überzeugt. Vielleicht war es ja wahr und kein Kindermärchen. Es stand schließlich auf den Tafeln, die die Stämme von seinen Vorfahren bekommen hatten.
Und falls es wahr war, konnte er nur hoffen, dass ihr Glaube an die gemeinsame Zukunft mehr Kraft hatte als seine Ängste und Zweifel.
Er streckte seine Hand aus. Sie legte die ihre hinein. »Lass uns in die Höhle zurückgehen. Meine Haut ist nicht an Tageslicht gewöhnt«, erklärte er ihr.
»Ah, du brauchst deine zweite Haut. Ich werde dir helfen, sie zu reinigen.«
Er nickte. »Aber vorher ...«, meinte er schließlich zögernd.
Sie strahlte ihn an. »Ja, vorher.«
Sie kam in seine Arme, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Susan Hastings
Paradies Nr. 13
L ANGSAM SCHLENDERTE F RIEDHELM E BERLEIN den Hauptweg der Gartensparte ›Paradies‹ entlang und atmete tief ein. Es duftete nach Gras, Blumen und feuchter Erde. Er bedauerte, selbst keinen grünen Daumen zu besitzen, um solch einen Garten zu bewirtschaften. Doch ab und zu zog es ihn zu seinem alten Freund Erwin Fröschle, der diesen grünen Daumen besaß. Vor dem Gartentor mit der Nummer 13 blieb Eberlein stehen. »Erwin, bist du da?«
Es blieb still zwischen den Stauden, Viertelstammobstbäumen und sorgsam angelegten Gemüsebeeten.
»Erwin?«
Friedhelm Eberlein war sich sicher, dass sein alter Freund bei diesem schönen Wetter in seinem grünen Paradies weilte.
»Erwin!« Er drückte die Klinke herunter. Das Tor war offen.
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