Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Hilfeleistung, korrigierte das Stimmchen in einem deutlich spöttischen Unterton. Und das müssen sie dir erst mal nachweisen.
Stimmt, überlegte Ellen, das muss man mir erst mal nachweisen, worauf ihr Gewissen einen Schreikrampf bekam. Sie ignorierte sein Gezeter, fuhr herum und ...
Ellens Schreckensschrei übertönte das Gurgeln und Brodeln aus Herthas langsam zuschwellender Kehle. Beide Hände auf die Brust gepresst, starrte Ellen ihren Mann an, der wie aus dem Boden gewachsen vor ihr stand. Doch Mark-Dennis sah sie nicht. Der Blick seiner blauen Augen war auf das Bett gerichtet, auf dem seine Mutter röchelnd um ihr Leben kämpfte.
»Es ... ich ... eine Wespe«, stammelte Ellen. Ihr Mund war total ausgetrocknet, vor Schreck zitterte ihr Körper wie im Fieber. Ihre Hand, die noch immer das Telefon hielt, war schneeweiß, so fest krallten sich die Finger um das kleine Gerät.
Mark-Dennis reagierte nicht. Er konnte nur dastehen und Hertha anstarren, deren Gesicht inzwischen lila angelaufen war. Ihre Zunge quoll aus dem weit aufgerissenen Mund, riesengroß und knallrot leuchtete sie in dem düsteren Violett.
»Ich rufe den Rettungsdienst«, hörte er Ellen neben sich sagen. Als sie die Hand hob, um die Nummer einzutippen, fiel die Starre von ihm ab.
»Nein!« In seiner Erregung schlug er Ellen das Handy aus den Fingern.
»Nein?« Fassungslos stierte sie ihn an.
Mark-Dennis schüttelte nur stumm den Kopf.
»Wirklich nicht?«, vergewisserte sich Ellen.
»Wirklich nicht!«, zischte Mark-Dennis ihr zu. Endlich sah er sie an. Sein Blick hatte etwas Beschwörendes. »Denk doch mal nach! Das ist die Lösung!«
Ellen konnte es immer noch nicht fassen. War es möglich, dass Mark-Dennis heimlich denselben Groll gegen seine Mutter hegte wie sie? Gingen auch ihm Herthas ständige Einmischung und Bevormundung auf die Nerven? Hatte er genug von der Dominanz der alten Frau?
»Kein Treppensturz, keine Überdosis ihres Herzmittels, kein tragischer Autounfall«, raunte Mark-Dennis dicht an Ellens Ohr. »Wir brauchen nichts weiter zu tun, als die Natur für uns arbeiten zu lassen.«
Die Geräusche, die vom Bett zu ihnen drangen, ließen beiden die Haare zu Berge stehen. Das Paar wechselte einen raschen Blick miteinander, dann nickte Ellen kaum merklich und machte kehrt.
Hand in Hand verließen sie das Schlafzimmer und liefen in die Diele hinunter. Als gleich darauf die Haustür hinter den beiden ins Schloss fiel, verstummte das Röcheln. Es wurde still in der düsteren Villa.
Totenstill.
***
Weder Ellen noch Mark-Dennis fühlten Reue, als sie ihre Sträuße aus weißen Rosen ins offene Grab warfen. Es gab ein dumpfes Geräusch, als die Blüten auf den Sarg fielen. Ein aufwendiger Sarg, aus Eiche mit Bronzebeschlägen und einer handgeschnitzten Blumengirlande rundherum. Dunkel wie ihre Villa und genauso kitschig ausgestattet, damit Hertha sich darin wohlfühlen konnte.
Nachdem die Atemwege vollkommen zugeschwollen waren, hatte es der Tod eilig gehabt, sie zu holen. Jedenfalls war das die Diagnose des Notarztes gewesen, den Ellen sofort nach ihrer Rückkehr alarmiert hatte. Und nein, hatten ihr die beiden freundlichen Polizisten versichert, die einige Minuten nach dem Rettungsteam in der Villa aufgetaucht waren. Nein, weder Ellen noch Mark-Dennis hatten Schuld an dem Tod der alten Dame. Es war eine allergische Reaktion gewesen, die sie umgebracht hatte. Da niemand etwas von dieser Allergie gewusst hatte, war auch niemand darauf vorbereitet gewesen.
Trotzdem hatte Ellen noch eine Weile gebibbert, aus Angst, dass man doch noch die Wahrheit entdeckte. Aber der Hausarzt hatte der Polizei gegenüber Herthas Herzkrankheit bestätigt, dazu kam ihr Alter - da hakten weder die Ärzte noch die Kripo genauer nach.
Das junge Ehepaar blieb einen Moment am offenen Grab stehen. Die Hände wie zum Gebet gefaltet, hielt Ellen stumme Zwiesprache mit der Toten.
»Und jetzt, liebe Schwiegermutter, werde ich mit deinem Sohn nach Hause gehen, Schampus saufen und mit deinem Augäpfelchen mitten in der Eingangshalle und unter den Augen sämtlicher in Öl gemalter Verwandten den besten Sex aller Zeiten haben!«
Es war das erste Mal, dass die alte Dame nicht widersprach.
Armin Öhri
Die Pflege des Unglücks oder Der letzte Sophist
D IE E RLEBNUS EINES SELTZAMEN G ESELLEN , der anhub, sein Unglück zu pflegen, weswegen er glücklich zu werden gedenkete. Allzu wunderbarlich wie auch kurtzweilig zu lesen. Zudem auch manniglich
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