Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
die Hofmeisterin zu sich, legte ihr den Arm um die Schultern, beließ dabei ihren Blick jedoch weiter auf Hubertus. Dennoch entging ihr nicht, wie steif die rundliche Frau sich auf einmal gab. »Kreideweiß stand sie eben vor mir und war völlig außer sich. Eine halbe Ewigkeit hat es gedauert, bis sie mir die Meldung vom Tod deines dritten Gefährten einigermaßen verständlich überbringen konnte.«
    Tröstend zog sie die einen Kopf kleinere Frau an sich, bevor sie sie wieder freigab. Der Geruch der Schöninger nach Veilchen und Lavendel behagte ihr gerade wenig. Er machte die stickige Luft in den niedrigen Zwergengemächern noch unerträglicher.
    Seit Ewigkeiten mussten die kleinen Kerle die Fenster fest verschlossen gehalten haben, vermutlich aus Angst, der Tod suche sie über diesen Weg heimtückisch auf. Sie gab einem der Knechte, der neben der Tür Aufstellung genommen hatte, einen Wink, die Fenster zu öffnen. Sogleich strömte die duftende Mailuft herein, verhieß einen weiteren unschuldigen Frühlingstag, der von blühenden Bäumen, zwitschernden Vögeln und übermütig im nahen Schlossgraben herumtollenden Kindern bestimmt war.
    Helles Kinderlachen wehte von unten herauf. Voller Schmerz presste Dorothea plötzlich die Hände auf die Ohren. Das Lachen der fröhlichen Kinderstimmen hallte in ihrem Kopf wider, weckte die Erinnerung, wie erschreckend still es in der herzoglichen Kinderstube im Ostflügel zuging. Von ihren drei Kindern hatte bislang nur die erstgeborene Anna Sophie überlebt. Die ein Jahr später zur Welt gekommene Katharina war gleich am ersten Tag ihres irdischen Daseins wieder verschieden und der lang ersehnte Stammhalter Friedrich Albert hatte zu Beginn des neuen Jahres lediglich drei Wochen lang mit seinem zaghaften Lächeln ihr Herz erwärmt. Entschlossen ließ sie die Hände wieder sinken. Umso wichtiger war es, dass Hubertus und seine kleinen Freunde ihren Alltag aufmunterten. Singen, tanzen und Scherze machen sollten die kleinen Burschen, nicht Trübsal blasen, weil drei von ihnen offensichtlich das Essen der preußischen Küche nicht vertragen und deshalb vorzeitig das irdische Jammertal verlassen hatten. Laut klatschte sie in die Hände.
    »Auf, Hubertus, komm wieder zu dir! Du weißt, wie sehr mein herzoglicher Gemahl und ich an euch allen hängen. Nicht umsonst setzen wir alles daran, damit ihr es hier an unserem Hof so behaglich wie möglich habt. Der Herzog wird untröstlich sein, wenn er nach seiner Rückkehr aus Ragnit heute Abend vom Tod deiner Freunde erfährt. Gerade jetzt bedarf er es besonders, von euch auf andere Gedanken gebracht zu werden, ist sein Amt derzeit doch von großem Kummer begleitet. Ihr müsst ihn davon ablenken. Wenigstens in seinem Königsberger Schloss soll er allzeit eine fröhliche Zuflucht finden.«
    Kaum ausgesprochen, spürte sie selbst, wie falsch die Worte klangen. Weder den Zwergen noch ihr war es angesichts der Vorfälle im Zwergenlager nach ungezwungener Heiterkeit zumute. Ihr Gemahl würde das sofort merken und den Grund für ihre Trauer erfahren wollen. Umso schneller sollte sie den rätselhaften Todesfällen auf den Grund gehen, damit sie ihm heiteren Gemüts entgegentreten konnte.
    »Wo ist er?«, fragte sie Hubertus und schaute sich in dem karg mit einem langen Tisch, zwei schlichten Holzbänken und einer großen Truhe möblierten Gemach um. Auf einen Wink der Hofmeisterin entfernten sich die Hofbediensteten. Trotz der beiden weit geöffneten Fensterflügel blieb es drückend heiß. Dorothea schien es, als entströmte den hölzernen Bodendielen die aufgestaute Sonnenwärme der letzten Tage. Der laue Frühlingswind vermochte dem wenig entgegenzusetzen.
    Knarrend öffnete sich die doppelflügelige Verbindungstür und die beleibte Gestalt des Hofmedicus Laurentius Wilde tauchte im Türrahmen auf. Sein feistes Gesicht glänzte von Schweiß, fahrig tupfte er mit einem kleinen Leinentuch die Schläfen, bevor er Dorothea entdeckte und den Stoffstreifen verlegen in den riesigen Pranken zusammenknüllte. Unbeholfen deutete er eine Verbeugung an.
    »Wie gut, dass Ihr da seid, Hoheit.« Obwohl er das eher heiser krächzte denn deutlich aussprach, war der auf seine fränkische Heimatstadt Nürnberg verweisende, leicht näselnde Tonfall unverkennbar.
    »Am besten, Ihr schaut Euch den Toten selbst an. Bitte sehr.«
    Einladend wies er in die zweite Stube und verneigte sich dabei abermals tief. Es fiel ihm alles andere als leicht, den schweren Oberkörper

Weitere Kostenlose Bücher