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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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kostbar sie ist. Es ist etwas ganz Besonderes.«
    Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, stutzte sie. Aus den Augenwinkeln meinte sie zu erkennen, wie auch der Wundarzt erstaunt aufhorchte. Ihre Frage von eben kam ihr in den Sinn.
    »Hat euch etwa jemand von der Bernsteinessenz gegeben?« Abermals packte sie Hubertus an den Schultern, zwang ihn, zu ihr aufzusehen. Seine Miene verriet bereits die Antwort. »Wer?«, hakte sie nach. Wie erwartet, schwieg er. Matt gab sie ihn frei. Er nutzte die Gelegenheit und trat sofort von ihr weg. Anders als eben noch aber mied er die Hofmeisterin, drückte sich stattdessen eingeschüchtert an den gegenüberliegenden Türpfosten.
    Ratlos schaute sie die Schöninger an. Die wich ihrem Blick aus, schaute angestrengt zum Fenster. Noch immer waren ihre Lippen blutleer, die Wangen blass. So schnell war mit der Hofmeisterin nichts Rechtes anzufangen. Das Geschehen um die kleinen Burschen ging ihr viel näher, als Dorothea je geahnt hatte.
    »Ich halte es für unmöglich, dass jemand eine Phiole Eurer Essenz vergiften konnte, ohne dass das rechtzeitig bemerkt wurde«, schaltete sich endlich wieder Doktor Wilde ein. »Erstens kommt niemand unbemerkt an den Wachen vorbei in Eure Räumlichkeiten und zweitens müsste doch sofort auffallen, wenn eine Phiole der kostbaren Flüssigkeit ...«
    »Das werde ich gleich selbst überprüfen.« Eilig stürmte Dorothea aus der Stube. Der Türknecht schaffte es gerade noch rechtzeitig, die Flügel zu öffnen. Ohne sich umzusehen, ob die anderen ihr folgten, lief sie zurück in den Ostflügel. Nur wenige Räume weiter als das Frauenzimmer hatte sie für ihre umfangreiche Sammlung an Tinkturen, Heilpflanzen, Ölen und Kräutern eine Offizin eingerichtet. Nahezu täglich beschäftigte sie sich dort mit der Herstellung von Heilmitteln, die sie Kranken bei Hofe wie auch in der Stadt zukommen ließ, mitunter sogar an befreundete Fürsten und Gelehrte in die Ferne schickte. Bei diesem Gedanken blieb sie mitten auf der Treppe wie angewurzelt stehen. Eine schreckliche Vorstellung erfasste sie: Vor wenigen Tagen erst hatte sie dem Reformator Martin Luther zur Linderung seiner häufigen Magenbeschwerden eine Phiole ihrer Bernsteinessenz geschickt. Was, wenn auch die mit dem heimtückischen Gift versetzt war? Blindlings tastete sie nach dem Treppengeländer, um nicht zu stürzen, so schwarz wurde ihr vor Augen.
    »Was habt Ihr?« Wie aus dem Nichts tauchte der wendige Wundarzt Hornberger neben ihr auf, berührte sie verbotenerweise sacht an der Schulter. »Ist Euch nicht wohl?«
    »Das Gift, meine Bernsteinessenz«, stammelte sie unbeholfen. »Denkt Ihr, jemand hat es in die Essenz gegeben, bevor ich sie in kleine Phiolen abgefüllt habe?«
    Sie taumelte. Beherzt griff der um gut einen Kopf kleinere Hornberger ihr unter die Arme, führte sie sanft, aber zielstrebig die letzten Stufen bis zu ihrem Geschoss die Treppe hinunter. »Das Gift muss gar nicht in der Essenz gewesen sein. Genauso gut kann jemand von außerhalb des Schlosses den Zwergen etwas anderes ...«
    »Schon gut«, winkte sie ab. »Ich rechne es Euch hoch an, wie sehr Ihr Euch darum bemüht, mich zu beruhigen. Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund für meine große Sorge. Sollte die gesamte Essenz, die ich vor einer Woche bereitet habe, mit dem Gift versetzt gewesen sein, dräut gewaltiges Unheil. Luther habe ich davon geschickt. Sofort muss ich ihn warnen, die Phiole in keinem Fall anzurühren. Gnade uns Gott, wenn er es schon getan hat! Man wird denken, ich habe ihn vergiften wollen.«
    »Das wird man nicht«, widersprach der Arzt entschieden und bewies damit ein weiteres Mal, wie wenig er sich um die Gepflogenheiten bei Hof kümmerte. »Euch und Euren Gemahl kennt man überall als Freunde und Bewunderer des Reformators. Niemals würde man Euch einen solchen Frevel zutrauen. Das wäre genau das Gegenteil dessen, was Euer Gemahl seit Jahren mit seiner Politik verfolgt. Immerhin verdankt er Luther die Umwandlung des Ordenslandes in ein Herzogtum und nicht zuletzt auch die Heirat mit Euch.«
    »Vergesst den alten Zygmunt nicht«, warf Dorothea ein. »Der polnische König hat meinem Gemahl, seinem Lieblingsneffen, die nötige Unterstützung gegen den deutschen Kaiser garantiert. Genau deshalb droht ihm nun auf dem Reichstag in Augsburg die Reichsacht. Allein das dürfte in den Augen mancher uns übel Gesinnter Grund genug sein, mir zuzutrauen, dem Reformator eine vergiftete Medizin

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