Bitteres Blut
Sie nachts in die Scheunen schleichen und riskieren, als Einbrecher geschnappt zu werden?«
»Mir schwebt vor, den Täter unter Druck zu setzen, ihn zu provozieren, um ihn aus der Deckung zu locken.«
Hildebrandt runzelte die Stirn.
»Ihm über die Presse, das Radio, das Fernsehen mitteilen, dass wir dem Versteck des Wagens auf der Spur sind«, sagte Lorinser, während er in dem mutlosen Gesicht seiner Kollegin nach Anzeichen einer Reaktion forschte. »Möglicherweise wird er versuchen, wenn er die Botschaft erhält, das Auto aus der Schusslinie zu bringen. Wir müssten lediglich ein Netz um das Gebiet spannen, in dem er sich verfängt.«
»Wenn er sich denn verfängt«, sagte Hildebrandt wenig begeistert, ließ sich jedoch zur Überraschung Lorinsers auf ihren Bürostuhl fallen, als richtete sie sich auf eine längere Unterredung ein. »Die Idee ist gut, aber haben wir denn nur noch diesen einen Schuss? Was ist mit den Anwohnern rund ums Moor? Haben Sie die unter die Lupe genommen?«
»Alles in allem sind das an die hundert Personen. Das kostet Monate.«
»Was ist mit der Videoaufzeichnung der Tankstelle? Liegt die inzwischen vor? Ist sie ausgewertet? Gibt sie was her?«
Lorinser schüttelte den Kopf. »Kommt morgen. Wahrscheinlich unbrauchbar, weil zigfach überspielt. Meiner Meinung nach sollten wir die Medien einschalten.«
»Meine Güte«, stöhnte Hildebrandt. »Mir bricht der kalte Schweiß aus, wenn ich mir vorstelle, dass wir ein Riesenmanöver mit einem Haufen Personal starten und damit gegen die Wand fahren. Ob die Staatsanwaltschaft mitspielt, wage ich nach Lage der Dinge zu bezweifeln. Der Leitende kommt erst Mittwoch von seiner Tagung zurück, ich müsste die Sache also wieder alleine verantworten und … Was, wenn unser Mann, wenn es denn einer ist, weder Zeitung liest, noch Radio hört oder fernsieht? Wenn ihn die Botschaft gar nicht erreicht? Was dann?«
»Und was, wenn es funktioniert?«
»Mein Gott, Kristian!«
Zweifel, die wie Fettaugen auf der giftigen Brühe der Angst vor der Verantwortung und einem weiteren Desaster schwammen, dachte Lorinser. »Vorhin wollten Sie noch Lotto spielen«, sagte er. »Weil Sie überzeugt waren, ich träfe die richtigen Zahlen.«
Sie warf den Kopf in den Nacken, lachte auf und erhob sich so abrupt, wie sie sich kurz vorher gesetzt hatte. Sie hakte den linkenDaumen unter den Taschengurt und ging zur Tür. Kurz davor blieb sie stehen, starrte ihn an und versteifte ihren Rücken. Lastendes Schweigen. Ihre rechte Hand tastete nach der Türklinke, die linke umklammerte Halt suchend den Gurt ihrer Handtasche. In den Augen die Sorge, den falschen Entschluss zu treffen, die bange Frage, ob sie nicht ihren Bedenken, sondern seinen Instinkten trauen durfte.
»Wir sind schon aus personellen Gründen nicht in der Lage, eine solche wahrscheinlich über Tage gehende Operation durchzuführen«, sagte sie. »Ein Riesenaufwand, der eine Menge Geld kosten wird, ohne dass wir die Gewähr des Erfolges haben …« Sie schüttelte den Kopf. »So verlockend Ihre Idee ist«, sagte sie, ohne Lorinsers Antwort abzuwarten, »ich bin sicher, ich werde damit nicht durchkommen, nicht nach der heutigen Blamage, zumal der Fall keinerlei Merkmale der Gefahr für die Öffentlichkeit und damit der Dringlichkeit aufweist.«
»Immerhin geht es um den Tod eines jungen Mannes, um …«
»Das Eine hat nichts mit dem Anderen zu tun«, schnitt Hildebrandt ihm das Wort ab und trat in den Gang, ohne ihm eine gute Nacht zu wünschen.
Diese Scheißangst, dachte Lorinser mit einem Anflug von Verbitterung. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Acht. Höchste Zeit, seine Mutter anzurufen.
14
Der Tag fing ganz gut an. Sonnig und mit einem Anruf Paulas, der ihm bewies, dass sie ihren Kollektivschuldfantasien doch nicht erlegen war. Ja, ihrem Vater gehe es schon wieder ganz gut, aber jetzt gehe es um ihre ahnungslose und vollkommen aus den Fugen geratene Mutter. Die sei leider entschlossen, der Vorladung zur Vernehmung unbedingt zu folgen, obwohl es dafür keine Veranlassung mehr gebe. »Ich fürchte, sie wird durch irgendeine Schusseligkeit bei der Vernehmung von Vaters Seitensprung erfahren. Du weißt, was dann geschehen kann …«
»Ich bringe das in Ordnung«, versprach er ihr und brachte die Geschichte nach seinem Eintreffen in der Inspektion mit einem kurzen Telefonanruf aus der Welt. Er setzte sich telefonisch mit der Belamühle in Vechta in Verbindung. Der Fahrer des
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