Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
Vom Netzwerk:
vollkommen ungeeignet. Eine Schwalbe schoss über ihn hinweg. Kein Mädchengegacker. Das Schnauben eines Pferdes war zu hören. Metall schrammte über den Zementboden. Das Geräusch kam aus der dritten Box auf der linken Seite.
    »Ingelore oder Martina?«, fragte er, als er das selbstvergessen Stroh zusammenschiebende Mädchen entdeckte. Ihrem Körper nach war sie mindestens achtzehn, dem Gesicht nach zwölf Jahre alt. Verschreckt war sie wie eine Achtjährige, die den Bösen Mann vor sich sieht. Sie wich einen Schritt zurück und starrte ihn aus dunkelbraunen Augen entgeistert durch die brünetten Fransen ihres wirren Ponys an.
    »Martina«, gestand sie verlegen auflachend, als Lorinser sich vorgestellt hatte. »Mann, hab ich einen Schrecken gekriegt!«
    »Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich habe auch nur eine Frage. Es geht um den Montag letzter Woche. Herr Holtkötter sagte mir, du hättest hier gearbeitet. Zusammen mit deiner Freundin.«
    »Ich war die ganze Woche hier, aber nicht mit meiner Freundin, mit meiner Schwester. Mit der da«, sagte sie und deutete in den Gang, aus dem das Geräusch sich nähernder Schritt erklang. »Haben wir was angestellt?«
    »Das wisst ihr bestimmt besser als ich«, sagte Lorinser und drehte sich um. Was da in Reithose, Gummistiefeln und roter Bluse neugierig herüberblickte, war das Spiegelbild ihrer Schwester. Nur, dass ihr Haar flachsblond, glatt nach hinten gekämmt und von einem Pferdeschwanz gebändigt war.
    »Wisst ihr noch, um welche Zeit ihr Montag gekommen seid?«
    »Wie heute. Viertel vor neun «, sagte die noch immer im Gang abwartend verharrende Ingelore.
    Tja, das ist es dann wohl, dachte Lorinser.
    »Exakt Viertel vor neun?«
    »So ungefähr. Weil meine Mutter um neun auf der Arbeit sein muss. Sie bringt und holt uns. Um Viertel nach zwei. Dann müssen wir am Tor stehen.«
    Nein, es sei niemand auf dem Hof gewesen, als sie gekommen waren. Nicht an diesem Montag. Einen Schlüssel brauche man nicht. Man müsse nur durch die Eisenstangen des Tors greifen und einen Riegel zurückziehen, dann könne man es öffnen. Es sei alles wie immer gewesen. Die Stalltiere versorgen, misten, Streu eingeben, dann reiten, weil das der Lohn für die Arbeit sei. Mittags sei Herr Holtkötter gekommen, aber nach kurzer Zeit wieder abgefahren. Nur wenn ein Turnier bevorsteht, sei ganz schön was los. »Ansonsten …« Martina verbog angewidert die Lippen und hob die Schultern.
    »Jemand hat Stroh gebracht«, sagte Ingelore.
    »Wer?«
    »Ein Bauer. Ich weiß nicht, wer das genau war.«
    »Wann?«
    »Das habe ich erst mitgekriegt, als es schon da war. Wir waren ja hier im Stall.«
    »Von einem gelben Porsche habt ihr auch nichts gehört oder gesehen?«
    Sie schüttelten gleichzeitig die Köpfe.
    »Vielen Dank jedenfalls«, sagte Lorinser und verließ den Stall. Die Sonne stand zwar noch am Himmel, aber über den jetzt schneller drehenden Windmühlen schoben sich düstere Wolken heran. Vor dem Gatter des Weidezauns stand ein gutes Dutzend Pferde dicht beieinander, als warteten sie darauf, in den Stall geführt zu werden. Staub und Stroh wirbelten über den Hof.
    Er zog die Mitgliederliste aus der Tasche und faltete sie auseinander. Es handelte sich um eine durchnummerierte Tabelle, die Namen alphabetisch geordnet. Im Kopf Kürzel wie akt./pass., Beruf, Str., Ort, Tlfnr. und BtrGez./ngez., Anm. Offensichtlich mit einem ausgenudelten Nadeldrucker ausgegeben und schwer zu lesen. Er nahm sich vor, sich im Büro damit zu befassen, und steckte die Liste wieder ein.
    Sieht verdammt nicht gut aus, sagte sich Lorinser. Weder mit dem Wetter noch mit dem Fall. Der Porsche, so er denn überhaupt in der Gegend war, konnte in irgendeinem Schuppen, aber genauso gut in einem der riesigen Maisfelder oder in einem Gebüsch stecken. Oder während der vergangenen Woche längst aus der Schusslinie geschafft worden sein. Wenn nicht, reichte es, ihn mitsamt der ja nur möglicherweise vorhandenen Spuren in Schutt und Asche zu legen. Und dann ist wohl Ende Gelände, um es in der Diktion Steinbrechers auszudrücken, dachte er, während er mit einer Laune, die mindestens so düster wie die im Westen aufziehenden Wolken waren, auf die Isabella zuging.
    Den Abschied von Holtkötter ersparte er sich, weil sein Tagesbedarf an verquastem Predigermoralin und imitierten Schlangenlederstiefeln mehr als gedeckt war.
    Na ja, wie ein strahlender Ritter auf den Spuren der Wahrheit fühlte er sich ganz und gar nicht. Eher

Weitere Kostenlose Bücher