Bitteres Blut
posierten. In einer Glasvitrine von Niedrigvoltstrahlern mit grellem Licht überschüttete Ferrarimodelle. Nur die sonnengebräunte Dame um die dreißig wirkte mit ihrer Knabenfrisur und ihrem hochgeschlossenen, braunen Kleid wie eine graue Maus. Schweigend stellte sie das Kaffeetablett auf den Glastisch, ehe sie sich wieder lautlos an ihren Schreibtisch setzte.
»Was heißt schon gut kennen?«, sagte Olli Kröger, als Lorinser ihn nach seinem Verhältnis zu Thorsten Böse fragte. »Sie gucken den Leuten vor die Stirn. Was sich dahinter abspielt, können Sie bestenfalls erahnen. Was, außer Elend, hätte er auch über sich preisgeben können? Haben Sie eine Ahnung, wie es in der Clique ankommt, wenn Sie erzählen, dass Sie elternlos und in einem Scheißheim aufgewachsen sind?« Er sog an seiner Zigarette. »Und dann den Alten auf der Schulter, von dem jeder weiß, dass er einen Sprung in der Schüssel hat! Also nee, ich wäre schon nach zwei Tagen wieder weg gewesen. Oder hätte den alten Sack in die Klapsmühle gebracht.«
»Wann haben Sie Thorsten zuletzt gesehen?«
»Am Sonntagabend beim Schützenfest. Wir haben Hallo gesagt, und das war’s.«
»War er alleine?«
»Das Zelt war pickepacke voll. Da ist man nie alleine. Man schluckt, man tanzt, man sieht Bekannte, Freunde, quatscht und versucht, die Zeit so gut wie möglich totzuschlagen. Ich war auch nicht lange da.«
»Bis wann?«
»Weiß ich nicht genau. Bis zehn? So ungefähr, denke ich.«
»Haben Sie Frau Simmerau gesehen?«
»Beide.«
»Was heißt beide?«
»Sind nun mal zwei. Das heißt, eigentlich drei: Mama Kugelblitz, Rühr-mich-nicht-an-Tochter Melanie und der feine Herr Kronprinz-Nase-ganz-oben. Heißt Moritz, glaube ich. Den habe ich allerdings nicht gesehen. Wienerte wohl wieder mal seine graue Opel-Kathedrale, anstatt sich mal den Frust von der Seele zu saufen.« Nein, Thorsten Böse habe trinkend am Tresen gestanden und nicht mit dem »Kugelblitz« getanzt. Der habe in einem fort schwätzend zwischen Lokalprominenz Tortenberge in sich hineingestopft, neben sich die kettenrauchende Melanie mit ihrem Trauergesicht. Die allerdings habe er einmal mit Thorsten tanzen sehen. »Ein hübsches Ding eigentlich, aber steif wie ein Stock. Eine auf den Hengst wartende Stute eben, die dennoch jedem Kerl ins Gemächte tritt.«
»Auch ihm?«
»Die Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was der Bursche schon für Festungen geknackt hat.« Kröger grinste. »Glauben Sie mir, hier laufen einige mit ’nem Riesengeweih herum. Wenn er auch sonst ein armes Schwein ist, Schlag bei den Mäusen hat er.«
»Kondome scheinen sein Fall auch nicht zu sein. Trotz Aids.«
»Wer denkt schon an Aids, wenn ihm der Saft ins Gehirn schwappt? Thörstchen bestimmt nicht. Und Porsche fahren kostet die Ohren. Da bleibt nichts für Verhütung. Aber ich bin sicher, der Alte wird schon Wege finden, ihn wieder mal aus der Scheiße zu ziehen. Hier ticken die Uhren noch anders, Herr Kommissar. Der eine kennt die Leiche im Keller des anderen. Das kittet besser als Zweikomponentenkleber. Hier hat nur der eine wirkliche Chance, der dazugehört. Alle anderen werden bestenfalls als Läuse im Pelz akzeptiert.«
»Wie Thorsten?«
»Wie Thorsten. Nur hat er den Vorzug, dass der Alte seine Flügel über ihn hält. Eine Laus mit Wohnrecht sozusagen.«
»Sie meinen…?«
»Ja, meine ich. Der Alte rührt noch immer in allen Töpfen, so verrückt er auch scheinen mag. Viel Geld, viel Einfluss. Weiß er sehr gut einzusetzen, wie ich aus eigener Erfahrung behaupten kann. Wissen Sie, wie man ihn hier nennt?«
Lorinser schüttelte den Kopf. Er blickte den jungen Mann auffordernd an.
»Satan vom Berg«, sagte Kröger. »Das sagen die, die ihm die Pest an den Hals wünschen. Aber er hat auch Freunde. Und die nennen ihn den Heiligen vom Berg.«
»Was ist er für Sie?«
»Ein Albtraum, Herr Kommissar.« Kröger legte die rechte Hand an seine Hüfte. »Ich konnte noch nicht richtig laufen, da kriegte ich schon das Zittern, wenn ich seinen Namen hörte. Und ich hörte ihn dauernd. Von meiner Mutter, die geradezu hysterisch wurde, wenn wieder mal eine Klage ins Haus flatterte. Von meinem Vater, der einen Zweifrontenkrieg führte. Gegen meine Mutter, die es satt hatte und von hier fliehen wollte, und gegen Wolfhardt Böse, der seine, das heißt unsere Existenz zu vernichten drohte. Für uns war er der Satan. Er ist es noch. Weil er meine Familie nach wie vor
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