Bitteres Blut
beschloss, Carola Bersenbrück in Brockum aufzusuchen, die junge Frau, die laut Dorfsheriff Bossen neben anderen von Thorsten Böse geschwängert worden war.
Hinter der Adresse verbarg sich eine Fabrik. Und die lag am Rande Brockums unweit der Straße nach Wagenfeld. Sie war in einer verlottert aussehenden Scheune untergebracht, in die nachträglich doppelt verglaste Fenster und ein graues Garagentor eingebaut worden waren. Über rissige Backsteinwände war ein steiles Wellplattendach gestülpt. Ihr gegenüber und rechts der Einfahrt ein eingeschossiges Wohnhaus aus rotem Ziegelstein. Dahinter ein Stück Wiese mit Sandkasten und Kinderschaukel. Ein flaches Stallgebäude, das als Garage und Holzschuppen diente, versperrte den Blick in das Dorf. Zwischen Stall und Haus schlurfte selbstvergessen mit sich selbst diskutierend eine alte, ein braunes Kopftuch tragende Frau und verschwand hinter dem Haus. Der Geruch von versengendem Plastik nahm Lorinser den Atem, als er nach mehrmaligem Klopfen ohne Antwort das Scheunentor öffnete und sich in einer schmalen Halle voller klappernder und zischender Maschinen wiederfand, aus denen aus stählernen Formen wie Eier aus Hennen schwarze, dampfende Plastikteile in Drahtkörbe fielen.
»Bringen Sie die Kokille?«
»Ich weiß noch nicht mal, was das ist«, sagte Lorinser und drehte sich in Richtung der Stimme um, die zu einem etwa vierzigjährigen, rotgesichtigen Mann gehörte, der mit einem grauen Kittel bekleidethinter einem Stapel blauer Tonnen stand, freundlich lächelte und sich mit einem weißen Lappen die Hände säuberte.
»Was bringen Sie denn?«
»Einige Fragen«, sagte Lorinser und stellte sich vor. »Die ich Frau Carola Bersenbrück stellen möchte. – Ist sie hier?«
»Um was geht’s denn?«
»Ich möchte mit ihr über Thorsten Böse sprechen.«
Das Gesicht des Mannes schien zu vereisen. Der Lappen flog in eine der Tonnen. Die Stimme war plötzlich ein tiefes Seufzen. »Was ist so wichtig, dass Sie mit ihr über den sprechen müssen.«
»Sind Sie ihr Vater?«
Bersenbrück nickte stumm.
»Böse ist verschwunden, vielleicht tot«, erklärte Lorinser. »Sie kann uns möglicherweise in der Sache helfen.«
Bersenbrücks Kopf neigte sich auf die rechte Schulter, während der Mund sich überrascht öffnete. »Ist sie etwa wieder mit dem zusammen gewesen!? Das kann doch nicht wahr sein, kann es doch nicht, verdammt noch mal!«
Zorn und Verzweiflung trieben die Stimme in einen zitternden Diskant. Lorinser hatte den Eindruck, als wenn das nach hohem Blutdruck aussehende Gesicht sich blähte und in den nächsten Sekunden platzen würde.
»Nur ein Gespräch, Herr Bersenbrück. Ich möchte Ihre Tochter nicht unbedingt in die Inspektion laden.«
»Wir wollen endlich unsere Ruhe haben!« Die Hände sanken herab. Der Kopf ruckte nach links in Richtung lärmerfüllter Halle. »Carola!«, schrillte die Stimme. »Schalt die Maschine ab und komm her! Aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!« Er wandte sich an Lorinser und deutete hinter sich. »Da ist der Sozialraum. Da können Sie rein. Dabeihaben wollen Sie mich ja wohl nicht, oder?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stampfte er in Richtung der zischenden Maschinen, schlug seiner in einer blauen Latzhose steckenden Tochter mit der geballten Faust wütend in die Seite,als sie ihn passierte, und tauchte mit gesenktem Kopf Sekunden später hinter einem großen Zinkschrank ab.
»Tach«, sagte das Mädchen tonlos. »Wir sollen in den Pausenraum gehen.«
Sie ging voran. Schleppend und gebeugt, als zöge sie ein schweres Gewicht hinter sich her. Dabei war sie nicht kleiner als Lorinser, etwa einsachtzig und sehr schlank. Von der Schwangerschaft war noch nichts zu sehen. Das glatte, hellblonde Haar war im Nacken zu einer Welle geformt und wurde von einer roten Plastikklammer gehalten. Rot war auch der dünne Pullover, den sie unter der Latzhose trug. Ihre Hände steckten in gelben Arbeitshandschuhen, die nackten Füße in leichten Plastiksandalen, die bei jedem Schritt quietschten. Vor einem mit Thermoskannen, benutzten Tassen und Butterbrotpapier übersäten Küchentisch blieb sie stehen und ließ sich auf einen der darum gruppierten fünf weißen Plastikstühle fallen. Sie warf die Handschuhe auf den Tisch.
»Mit Aufräumen hat es hier keiner«, sprach sie mit unverhohlener Aggressivität gegen das blecherne Gedudel eines auf der Fensterbank stehenden Radios an. »Bringt ja kein Geld, den Dreck wegzumachen. Wenn
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