Bitteres Blut
Hauses«, gab sie sarkastisch zurück.
»Trotzdem vielen Dank.«
»Nicht zu vergessen die Kinder, die Sie mit Ihrem Anblick um ihr Seelenheil gebracht hätten.«
»Sehr gütig, Frau Hauptkommissarin.«
Der Hauch eines Lächelns erhellte für Sekunden ihr Gesicht. Aber Freude, fand Lorinser, ist das nicht. Die Kollegin, die sich mit einem Schminktuch die Hände säuberte, wirkte abwesend und schien an einem geheimen Kummer zu nagen. Oder von Schmerzen geplagt zu werden, dachte er, als er neben dem Telefon ein Wasserglas und dahinter eine Packung Aspirin entdeckte.
»Ich werde mich dann wieder an die Arbeit machen«, sagte er und stand auf. »Hat sich inzwischen etwas getan, das ich wissen sollte?«
Hildebrandt ließ sich in ihren Bürostuhl fallen. Mit beiden Händen fuhr sie sich über das Gesicht. Ihre Schultern sanken herab, als trüge sie eine nicht mehr zu haltende Last. »Steinbrecher fand in den Einlassungen Krögers einen zunächst vielversprechenden Widerspruch«, sagte sie wie abwesend, während sie die Schminkutensilien in ihre Handtasche räumte. »Aber der hielt dann doch nicht, weil ein Zeuge seine Aussage relativierte. Krögers Angaben hinsichtlich seiner Rückkehr aus dem Urlaub sind von den entsprechenden Stellen bestätigt worden, womit diese Spur wohl ins Leere läuft.« Sie hob resignierend die Schultern. »An der Geschichte werden wir wohl noch eine Weile zu nagen haben. Am besten, Sie setzen sich mit Steinbrecher ins Benehmen. Er istja auf dem Laufenden.« Hildebrandts offenkundiges Desinteresse irritierte Lorinser. Wo ist nur ihre Energie, ihr Ehrgeiz geblieben, dachte er, während er ihr blasses, weil ungeschminktes Gesicht betrachtete, in dem sich kein Muskel regte. In ihrem ziellosen Blick meinte er die Aufforderung zum Verschwinden zu erkennen. Deshalb verbiss er sich die Fragen, die ihm zum Fall auf der Zunge lagen. Er stand auf und nickte.
»Ist er denn im Haus?«
»Vor zwanzig Minuten war er es noch, aber Sie wissen ja, wo sein Büro ist.«
»Na gut«, sagte Lorinser und erhob sich. »Dann gehe ich mal zu ihm.«
»Ja, machen Sie das«, sagte sie. »Dabei fällt mir ein, dass der endgültige rechtsmedizinische Befund eingetroffen ist. Einen Augenblick.« Sie öffnete eine grüne Mappe, entnahm ihr einige zusammengeheftete Bögen und reichte sie ihm. »Ich habe ihn zwar nur überflogen, aber festgestellt, dass hinsichtlich des Todeszeitpunkts Korrekturen vorgenommen worden sind. Gehen Sie das noch mal gründlich durch, ja?«
Er versprach es. Und nachdem er sich noch einmal für das Make-up bedankt hatte, verließ er den Raum.
»Was sie hat?« Steinbrecher formte mit den Zeigefingern ein Kreuz. »Was Menschen so haben, wenn ihnen die Mutter weggestorben ist. Gestern. Bei Kaffee und Kuchen inmitten der versammelten Familie. Gehirnschlag. Aus.« Er hob die Schultern. »Sie hätte zu Hause bleiben sollen, anstatt sich hier herumzuquälen.«
Lorinser betastete unwillkürlich die Make-up-kaschierte Stelle unter seinem linken Auge. »Mir hat sie kein Wort gesagt.«
»Ich hab’s auch nur per Zufall erfahren«, sagte Steinbrecher und zuckte zum zweiten Mal die Schultern. »Unten auf der Wache, als die Blauen sich darüber unterhielten. Ich habe eine halbe Stunde herumgehangen, ehe ich mich zu ihr wagte.« Er hob die Hände. »Ich kam mir wie ein Eindringling vor, der sich erdreistet, ungefragtin ihrem Schmerz herumzuwühlen. Und dann redete sie, als wenn ich Trost gebraucht hätte. Ich , verstehst du?«
»Ja, das verstehe ich.«
Steinbrecher runzelte die Stirn.
»Sie weiß wohl, wie hilflos man sich in einer solchen Situation fühlt«, fügte Lorinser hinzu, die Bilder jenes frostigen Wintertags vor Augen, als er mit noch frostigerer Seele am Grab seines von der Polizei erschossenen Freundes gestanden und die sich monoton wiederholende Litanei der Kondolierenden gehört hatte, in seinen Ohren den Seufzersingsang der noch einmal gnädig Davongekommenen.
»Ist wohl wahr, das mit der Hilflosigkeit«, sagte Steinbrecher mit rauer Stimme. »Zum Glück habe ich niemanden, dem ich Tränen nachweinen muss. Ich bin der Letzte, den der Teufel noch holen kann. Na ja, wir können es nicht ändern, und wenn wir es könnten, ich würde es nicht tun. – Was macht denn dein verbeultes Köpfchen?«
»Sagt mir, dass ich rüber und kondolieren muss. Jetzt, da du mich informiert hast, habe ich wohl keine Wahl.«
»Du kannst ja so tun, als wenn du es noch nicht weißt.«
Lorinser tippte sich mit
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