Bitteres Geheimnis
geringste Abweichung von der genetischen Struktur der Mutter feststellen läßt, kommt in Frage. Die, bei denen genaue Übereinstimmung nachgewiesen wird, sind wahrscheinlich parthogenetisch. Das ist aber auch alles, was wir sagen können.«
Dorothy Henderson schwieg. Jonas Wades Verstand arbeitete fieberhaft. Er mußte nachdenken; er mußte das alles erst einmal aufnehmen, sichten, ordnen, um dann zu versuchen, sich ein klares Bild zu machen. Dorothy Henderson hatte einige beunruhigende Dinge gesagt, an die Jonas bisher überhaupt nicht gedacht hatte. Sie hatte von Dermoiden gesprochen. Jonas wußte, was das war; er hatte sie bei Operationen gesehen - scheußliche, schleimige Gebilde mit Haaren und Zähnen und Nervengewebe: eine entgleiste Eizelle, die alle Elemente enthielt, die ein vollkommenes menschliches Wesen ausmachten, aber in den falschen Proportionen. Ließ man es wuchern, so tötete es die Frau, in der es wuchs.
Der Artikel über die Truthennen fiel ihm ein. Eines der Tiere hatte sich nicht normal entwickelt; es war fast blind, mit verkrüppelten Klauen und schlechter Motorik zur Welt gekommen. An sich nicht weiter beängstigend, aber auf den Menschen bezogen erschreckend.
Alles mögliche, so schien es, konnte sich aus einer parthenogenetischen Eizelle entwickeln: vom Dermoiden bis zum halbblinden Kind. Oder - das Entsetzlichste überhaupt - eine lebende, atmende Mutation.
Die Vorstellung erschreckte Jonas Wade zutiefst und führte ihn zu einer Frage, vor der er zurückschreckte: War das, was in Mary Ann McFarland wuchs, wirklich ein normales Kind?
9
Es war der 1. Juli, ein glühend heißer Tag. Die drei Insassen des schweren Wagens schwitzten trotz der Klimaanlage. Keiner sprach ein Wort.
Eine Woche war vergangen, seit Mary aus dem Encino Krankenhaus entlassen worden war, und in dieser Zeit hatte sich nichts geändert. Nach vergeblichen Bemühungen, seine Familie zusammenzuhalten und die Harmonie wiederherzustellen, hatte Ted sich zurückgezogen. Vier Abende war er in dieser Woche beim Training gewesen; die anderen Abende hatte er allein im Wohnzimmer gesessen und sich seinen Gedanken überlassen. Seine Tochter hatte er kaum gesehen, und wenn doch, so hatte er nicht gewußt, was er ihr sagen sollte. Die roten Narben an ihren Handgelenken und ihren Fingern waren ihm ständiger Vorwurf, ständige Erinnerung daran, daß er als Vater versagt hatte. Er hatte es nicht gewagt, sich ihr zu nähern, sondern hatte sie ihre eigenen Wege gehen lassen. Und auch sie hatte keine Annäherung gesucht. Es war, als lebte sie in einer anderen Welt.
Während sie jetzt auf dem Ventura Freeway dahinfuhren, dachte Ted an den einen Tag, den vergangenen Dienstag, wo sie es geschafft hatten, alle drei gemeinsam zu Pater Crispin zu gehen.
Schon um neun Uhr morgens war es sehr warm gewesen, und in Pater Crispins Büro gab es keine Klimaanlage. Das Gesicht des Priesters war ernst und teilnahmsvoll gewesen, als er gesprochen hatte.
»Ich finde, es ist eine kluge Entscheidung, Mr. McFarland, eine Entscheidung, die Mary sehr zugute kommen wird. Sie tun das Richtige. Schließlich können Sie Mary unter den Umständen nicht bei sich behalten.«
Ted warf einen Blick auf seine Tochter, die zusammengesunken in dem Sessel neben ihm saß. Ihr Gesicht war ausdruckslos, die blauen Augen wirkten wie erstarrt. Eine Sekunde lang wünschte er heftig, sie würde sich wehren, ihnen Widerstand leisten. Er sah sie an und hoffte auf einen Funken Zorn, sogar ein Wutanfall wäre ihm recht gewesen. Er wünschte, sie würde plötzlich lebendig werden und ihnen ins Gesicht schreien, daß sie zum Teufel gehen könnten.
»Die Nonnen werden gut für sie sorgen«, fuhr der Priester fort und beobachtete dabei Marys Gesicht. »Es wird immer ein Priester da sein, so daß sie zur Beichte gehen kann, wenn sie sich endlich dazu entschließt. Und sie kann jeden Tag der Messe beiwohnen. An das Kloster angeschlossen ist eine Schule, die sie ab September besuchen kann. Bis zur Geburt des Kindes wird Mary also die Hälfte der zwölften Klasse hinter sich gebracht haben und nicht zurückgefallen sein. Es besteht kein Grund, warum sie danach nicht an die Reseda Highschool zurückkehren und im nächsten Juni mit ihrer alten Klasse zusammen die Schlussprüfungen machen kann.«
Pater Crispin stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. An die Schreibtischkante gelehnt, sprach er weiter.
»Alle Formalitäten sind erledigt. Ich habe mit Dr. Wade gesprochen, und
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