Bitteres Geheimnis
Kommunionbank auf und gingen davon.
16
»In zwei Wochen werde ich Mary röntgen, Mr. McFarland, und es wäre mir lieb, wenn Sie und Ihre Frau mitkämen. Ich wollte Ihnen rechtzeitig vorher Bescheid geben, damit Sie sich den Termin freihalten können.«
»Das ist sehr freundlich, Dr. Wade. An welchen Tag hatten Sie gedacht?«
Jonas griff nach dem Kalender auf seinem Schreibtisch. »Jeder Tag in der Woche nach dem einundzwanzigsten wäre mir recht. Besprechen Sie es mit Ihrer Frau, Mr. McFarland, und rufen Sie meine Sprechstundenhilfe an. Sie vereinbart dann einen Termin mit der Röntgenabteilung.«
Es blieb einen Moment still. Ted McFarland machte sich wohl eine Notiz. Dann sagte er: »Dr. Wade, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Missbildung bei dem Kind?« Er schien den Stier gleich bei den Hörnern packen zu wollen.
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich möchte, daß Sie und Ihre Frau dabei sind, wenn wir die Aufnahmen bekommen, für den Fall, daß das Kind geschädigt sein sollte. Dann braucht Mary Ihre Unterstützung.«
Teds Stimme klang seltsam dünn und doch zugleich kraftvoll. »Wenn es eine Missbildung ist, was schlagen Sie dann vor?«
Jonas schloß einen Moment die Augen. »Das kann ich im Augenblick noch nicht sagen, Mr. McFarland. Es hängt von vielen Dingen ab. Wenn das Kind schwere Missbildungen aufweist, werden Sie die Angelegenheit mit Ihrem Priester besprechen wollen, denke ich.«
Es folgte eine kurze Pause, dann sagte Ted: »Sie denken an eine Abtreibung, nicht wahr?«
»Wenn Marys Leben bedroht ist, ja.«
»Aber sie ist im sechsten Monat. Ist es nicht jetzt schon ein - richtiges Kind?«
»Doch.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Dr. Wade. Meine Frau und ich werden kommen. Besten Dank, daß Sie angerufen haben.«
Nachdem Jonas Wade aufgelegt hatte, blieb er untätig an seinem Schreibtisch sitzen und starrte auf die rote Mappe, die den ersten Entwurf seines Berichts enthielt. Nur das letzte Kapitel fehlte jetzt noch. Er hatte flüchtig erwogen, sich in dieser Angelegenheit an Ted McFarland zu wenden - er und seine Frau, beide mußten die Genehmigung geben -, hatte es sich aber in letzter Minute anders überlegt. Der arme Mann hatte im Augenblick genug um die Ohren. Die Genehmigung zur Veröffentlichung konnte warten. Wenn die Röntgenaufnahmen ein völlig missgebildetes Kind zeigten, würde der Artikel sowieso nicht fertig geschrieben werden. Wenn sie jedoch ein normal entwickeltes Kind zeigen sollten, würde Jonas schon einen geeigneten Zeitpunkt finden, um sich mit den McFarlands über eine Veröffentlichung seines Berichts zu unterhalten und zu einigen.
Jonas massierte sich leicht das Gesicht, während seine Gedanken sich dem nächsten Problem zuwandten - der vorgesehenen Freigabe des Kindes zur Adoption. Er mußte einen Weg finden, um den McFarlands reinen Gewissens raten zu können, das Kind zu behalten. Aber genau das war der Haken: das reine Gewissen. Jonas war sich völlig klar, daß er in dieser Frage vor allem sein eigenes Interesse im Auge hatte. Wenn sowohl Mary als auch ihre Eltern es für besser hielten, das Kind wegzugeben, und wenn Pater Crispin sie darin unterstützte, dann war das zweifellos für die Beteiligten die beste Lösung, und Jonas Wade konnte sich nicht anmaßen, ihnen zu etwas anderem zu raten. Doch wenn das Kind weggegeben wurde, konnte er seinen Artikel nicht beenden. Er hatte ein stabiles Fundament gelegt, um seine Theorie zu untermauern, aber ohne die nach der Geburt fälligen Beweise zur weiteren Untermauerung seiner Behauptungen konnte er seinen ganzen Plan fallenlassen.
Jonas stand vom Schreibtisch auf und sah sich in seinem Arbeitszimmer um. Unbeantwortete Korrespondenz und ungelesene Fachzeitschriften lagen verstreut auf dem Ledersofa; neue Bücher, die er noch nicht einmal ausgepackt hatte. Er hatte in den letzten Monaten kaum etwas anderes im Kopf gehabt als seine Arbeit an dem >Fall< McFarland.
Eiliges Klopfen an seiner Zimmertür riß ihn aus seinen Gedanken.
»Jonas?« rief Penny von draußen.
Er machte auf.
»Ich dachte, du wolltest heute abend mit Cortney reden.«
Leichter Vorwurf schwang in ihrem Ton, und ihre Miene drückte Gereiztheit aus, die er sonst nicht an ihr kannte. Sie spähte an ihm vorbei ins Arbeitszimmer. Da lag die rote Mappe, die sie in letzter Zeit so häufig in seinen Händen gesehen hatte: beim Frühstück, auf der Terrasse, sogar wenn er vor dem Fernsehapparat saß. Immer wieder pflegte er sie
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