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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Sie hatte drei Kinder, die ungefähr in ihrem Alter |129| waren. Als Tilde klein war, hatte sie oft mit ihnen gespielt. Sie wohnten in der Nähe der Ponte di San Nicola und Tilde erinnerte sich, dass es dort gegen fünf immer Tee und Kekse gegeben hatte.
    »Welche Verräterin?«, hatte sie gefragt, obwohl sie die Antwort schon kannte.
    »Die aus der Tabakfabrik, die es mit den Deutschen getrieben hat.«
    Tilde hatte nichts dazu gesagt und war auf die Toilette geflüchtet. Auf dem Weg dorthin hatte sie Dolores getroffen, die ihr etwas erzählen wollte, aber sie war einfach weitergegangen. Danach hatte sie sich auf der Toilette eingeschlossen und hemmungslos geweint. Der Schmerz der vergangenen Tage überwältigte sie. Es war vorbei, unwiderruflich. Iolanda war tot. Was blieb, war die Erinnerung an eine großzügige Frau und ein schlechtes Gewissen. Aber Schuldgefühle waren ihr nicht neu, mit ihnen konnte sie leben.
    Olindo begrüßte sie mit den Worten: »Heute im Morgengrauen haben wir sie hingerichtet.«
    Er hatte vor ihrem Haus auf sie gewartet. Harte Worte, gemischt mit tiefer Trauer. Das machte sie nur noch wütender.
    Während Tilde ihr Fahrrad an die Kette anschloss, die neben der Haustür an der Wand befestigt war, brach es aus ihr heraus: »Wer war es?«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Einfach so«, sagte sie trotzig und zuckte mit den Schultern. Ihr Verhalten war das eines Kindes, das zu schnell erwachsen geworden war. Olindo war gerührt. Darauf konnte er nicht antworten.
    »Niemand war bereit dazu. Ohne Not auf eine Frau zu schießen fällt schwer   …«
    »Und auf einen Mann?«
    |130| »Das gilt auch für einen Mann. Es sei denn, es ist einer wie Maestri.«
    Es lag ihr auf der Zunge zu fragen, warum sie dann nicht Maestri liquidiert hatten. Stattdessen bohrte sie weiter:
    »Warum habt ihr so lange gewartet?«
    Er zögerte.
    »War es so schwer herauszufinden, ob Hessens Familie wirklich bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen ist?«, setzte Tilde nach.
    »Nein, das nicht.«
    »Warum hat es dann so lange gedauert?«
    »Ich hab’s dir doch schon gesagt, es wollte niemand machen.«
    »Dieser Kerl mit den dreckigen Fingernägeln hätte doch am liebsten gleich losgeschlagen! Weißt du was, Comandante? Manchen Jungs sollte man besser einen Maulkorb verpassen.«
    »Er ist achtzehn   …«, versuchte sich Olindo zu rechtfertigen.
    »Eben«, ihre Stimme wurde lauter, »er weiß nicht, was Verantwortung bedeutet, genau wie dieser Wichtigtuer mit seiner Nickelbrille, dieser Möchtegernintellektuelle. Solche Leute sollten nicht über das Leben anderer entscheiden dürfen.«
    »Solche Leute setzen Tag für Tag ihr Leben aufs Spiel, um Italien zu befreien.«
    »Aber wenn es darum geht, eine unbewaffnete Frau zu erschießen, machen sie sich in die Hosen.«
    »Genau. Auf eine unbewaffnete Frau schießt man nicht. Wenn Liliana nicht verhaftet worden wäre, hätte es ohnehin keiner gemacht.«
    »Und wie ging’s weiter?«
    Grandi schüttelte den Kopf. Jetzt war es besser zu schweigen. Dass Lanza Biscia beim nächtlichen Treffen |131| in der Ca’ Bianca vorgeworfen hatte, an der Verhaftung Lilianas schuld zu sein, würde er ihr nicht erzählen.
    »Wenn du nicht deinem Schätzchen hinterhertrotteln würdest, noch dazu einer, die es mit den Deutschen treibt   …«, hatte Lanza gesagt.
    Biscia hatte sich auf ihn gestürzt und drei Männer hatten ihn festhalten müssen, sonst hätte er ihn umgebracht.
    »Ich mache es. Dann werden wir ja sehen, wer von uns ein Mann und wer ein Angeber ist.«
    Olindo hatten die Umstände ganz und gar nicht gefallen, unter denen die Entscheidung fiel. Aber dieses Mal hatte er eine Ausnahme gemacht. Lanza hatte Biscia zu Unrecht beschuldigt und verdiente eine Lektion. Tildes Verlobten für die Aktion auszuwählen, schien die einzige Möglichkeit, seine Ehre zu retten. Deshalb hatte Olindo entschieden: »Einverstanden, Biscia, du machst das. Bereite alles vor.«
    Wochenlang hatten sie ihr Opfer auf Schritt und Tritt verfolgt. Sie wussten, dass Iolanda an diesem Abend in die Kommandantur gehen und, wie immer, wenn sie die Nacht dort verbrachte, im Morgengrauen nach Hause zurückkehren würde.
    Biscia hatte gespürt, dass die anderen Vorbehalte gegen ihn hatten. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen, koste es, was es wolle. Aufgebracht war er aus dem Raum gestürmt. Olindo hatte kein gutes Gefühl. Blinde Wut war nie ein guter Ratgeber.
    »Es war Biscia, oder?«
    Olindo saß in der

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