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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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dem ich gesprochen habe. Er litt an Alzheimer, ihm konnten sie den Mund nicht verbieten. Von ihm habe ich die Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe.«
    »Und er hat Ihnen nicht Niclas Nachnamen genannt?«
    »Er erinnerte sich nicht mehr, vielleicht kannte er ihn auch nicht. Von ihrem Sohn hatte er über Dritte erfahren, und wenn ich ihn richtig verstanden habe, hatte er Nicla nach Kriegsende aus den Augen verloren. Seine Geschichte war ziemlich verworren. Wie ich bereits sagte, war er sehr krank.«
    »Warum haben Sie mir das alles verschwiegen?«
    »Mit Grandi und seinen damaligen Kampfgefährten zu sprechen wäre doch reine Zeitverschwendung gewesen. Die meisten leben ohnehin nicht mehr. Nicht einmal die SS hat sie zum Sprechen gebracht. Sie müssen sich andere Quellen suchen.«
    »Grandi war ein Freund meines Vaters.«
    »Das tut mir leid,
Signor
Pagano, ich wollte Ihre Gefühle nicht verletzen.«
    »Vergessen Sie’s   …«
    »Sie sagten ›war‹. Ist der Comandante tot?«
    »Nein,
Herr
Hessen, er erfreut sich bester Gesundheit. Aber mein Vater ist tot.«
    |136| Als wir das Telefonat beendeten, entschuldigte er sich noch einmal. Aber das war mir egal, ich glaubte ihm sowieso nicht.
    Wie vorauszusehen, forderte der Alkohol seinen Tribut. Mir ging es hundeelend. Mein Kopf schmerzte, als hätte man einen Nagel hineingeschlagen, und selbst eine brühheiße Dusche und eine Kanne Kaffee hatten nichts geholfen. Unter diesen Umständen zu arbeiten würde eine Tortur werden, doch zu Hause zu sitzen und auf das Wunder zu warten, dass Pertusiello doch noch anrief, war auch keine bessere Alternative.
    Was, wenn Nicla gar nicht ihr richtiger Name war? Vielleicht hatte sie sich im Widerstand nur so genannt und nach dem Krieg wieder ihren richtigen Namen angenommen. Bavastro hätte sich daran erinnern müssen. Aber leider hatte auch er nichts mit dem Namen anfangen können.
    Ich rief Olindo Grandi an, der sofort den Hörer abnahm. Hatte er auf meinen Anruf gewartet?
    »Ich schulde dir eine Erklärung«, begann er.
    »Das denke ich auch, Comandante.« Ich versuchte locker zu klingen.
    »Lanza und Gino haben mir berichtet, was sie dir erzählt haben.«
    »Dann darf ich dich noch mal belästigen? Es hat keine Eile, ich komme, wann es dir passt.«
    »Je schneller, desto besser. Ich will reinen Tisch machen.«
    Wir verabredeten uns für den Nachmittag. »Um zwei geht meine Tochter wieder, dann können wir uns in Ruhe unterhalten«, sagte er.
    Bis dahin waren es noch einige Stunden und ich beschloss, meinen Plan von gestern umzusetzen. Im Bademantel ging ich in die Küche und nahm den Kalbsbraten aus dem Kühlschrank, wo er auf bessere Zeiten gewartet |137| hatte. Kochen half mir, den Kopf frei zu bekommen, und nach dem Essen ging es mir besser.
    Um halb drei saß ich in der Küche des Comandante. Der Sparkassenkalender wollte die Zeit noch immer im März 1998 anhalten. Amelias Blick auf dem Foto schien jetzt leicht betroffen, als wollte sie sich dafür entschuldigen, dass ihr Mann ein falsches Spiel mit mir gespielt hatte. Durch das Fenster sickerte blasses Licht und ließ den Granitfußboden ein wenig glänzen. Keinerlei Essensgeruch. Der Herd war kalt und die Spüle blank geputzt, als wäre in dieser Küche schon lange nicht mehr gekocht worden. Olindo sah aus wie beim letzten Mal. Die braune Strickjacke mit den abgewetzten Ärmeln, die Drillichhose und die gefütterten Pantoffeln. Hinter den dicken Brillengläsern wirkten seine stumpfen Augen riesig.
    »Es ist mir nicht leichtgefallen, aber ich hatte keine andere Wahl.«
    »Als zu lügen?«
    »Ja. Sonst habe ich immer versucht, ehrlich zu sein, zumindest in wichtigen Dingen, selbst im Krieg.«
    »Meinen Klienten hast du auch belogen.«
    »Der ist nicht wichtig, ihm schulde ich nichts.«
    »Und mir? Mir schuldest du auch nichts.«
    »Du bist Guidos und Annas Sohn, bei dir ist es mir schwergefallen.«
    »Sei ehrlich, du wolltest nicht, dass ich die Wahrheit erfahre.«
    »Stimmt, aber das hat nichts mit dir zu tun. Ein Versprechen muss man halten.«
    »Du hast Nicla etwas versprochen?«
    Er nickte und senkte den Kopf. Seine runzligen Hände ruhten auf dem Tisch. Jetzt verschränkte er die knotigen Finger, ein Versuch, die aufkeimende Nervosität zu bezwingen.
    |138| »Du hast sie also gekannt.«
    »Natürlich. Sie hat mich gebeten, ihr Geheimnis niemandem preiszugeben.«
    »Dass sie einen unehelichen Sohn hat?«
    »Ja. Das Verhältnis mit einem deutschen Offizier, das nicht ohne

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