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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Sveland
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meine übertriebene Forschheit zu schlucken.
    »Versuch, tagsüber ein wenig zu schlafen, wenn der Kleine schläft«, fährt sie fort, und ich denke, das würde ich nie können oder schaffen, so voll gebucht wie meine Tage sind.
    Abends weine ich vor Müdigkeit. Sigge liegt neben mir im Bett und schaut mir ernsthaft in die Augen. Er sieht auch traurig und müde aus von dem vielen Herumgerenne, von dem hysterischen Tempo, das ich jeden Tag vorlege. Ich streiche ihm über den Kopf, und nach Stunden schlafen wir ein.
    Johan ruft an, und wir haben uns nichts zu sagen. Er ist mitten in den Proben und macht sich Sorgen, dass die Schauspieler ihn nicht ernst nehmen, dass die Inszenierung schlecht wird, dass er nicht gut genug ist. Ich schweige und frage mich, wie wir jemals wieder zusammenkommen sollen.
    Ich hasse ihn jeden Tag ein bisschen mehr. Hasse es, dass seine Abwesenheit mir das Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit gibt. Diese Gefühle führen mich weit zurück in die frühe Kindheit, an die ich keine bewussten Erinnerungen habe. Ich werde immer kleiner.
    Früh an einem Samstagmorgen, als Johan aufgestanden ist, um Sigge zu wickeln, höre ich plötzlich einen Bums. Dann ist es ein paar Sekunden lang still, bis Sigge panisch zu schreien anfängt. Ich rase hoch und sehe, wie Johan Sigge in den Armen wiegt.
    »Er ist vom Wickeltisch gefallen«, sagt Johan schockiert. »Ich wollte den Waschlappen nass machen und habe ihm eine Sekunde den Rücken zugekehrt.« Er schaut mich hilflos und voller Scham an, aber nichts davon dringt durch meine Eiseskälte durch.
    »Gib mir Sigge!«, sage ich hart.
    »Ich möchte ihn trösten«, sagt Johan mit Tränen in den Augen.
    »Du kannst ihn nicht trösten. Gib mir Sigge!«, sage ich noch einmal und nehme ihm das Baby weg.
    Sigge hört bald auf zu weinen, ich setze mich mit ihm hin und sehe, dass sein normales Ich zurückkehrt. Ich sitze da und hasse nur noch. Verfluche Johans Morgenmüdigkeit, verfluche, dass er nicht zu Hause war und mitbekommen hat, dass Sigge sich drehen kann, verfluche seine ganze Existenz.
    Auf dem Weg zum Kinderkrankenhaus schweigen wir. Wir bekommen ein eigenes Zimmer, und ein Arzt stellt uns lauter misstrauische Fragen und macht Johan noch mehr Schuldgefühle. Johan erklärt, dass er viel weg war und nicht mitbekommen hat, dass Sigge sich schon drehen kann. Ich sage nichts, um Johan zu unterstützen, sitze nur da, hasse ihn und starre böse geradeaus. Wir müssen ein paar Stunden zur Beobachtung bleiben, und als der Arzt den Raum verlässt, beginnt Johan zu weinen. Er weint still und krampfartig, mit zuckenden Schultern. Eine Sekunde lang habe ich den Impuls, alles loszulassen und ihn in den Arm zu nehmen. Mit ihm zu weinen, mich im gemeinsamen Unglück mit ihm zu versöhnen. Aber der Knoten in mir ist zu hart, wegen des Schlafmangels der letzten Monate, der Einsamkeit und der Angst. Als ob die ganze Sehnsucht und Verlassenheit meiner Kindheit, alle Enttäuschungen, die ich je erlebt habe, hochkämen und meine Liebe zu Johan zu Eis frieren lassen.
    Und die Wäscheschleuder unseres Lebens schleudert uns weitere acht Wochen herum.
    Ich rufe bei der Familienberatungsstelle an und bitte um einen Termin. Die Frau am anderen Ende versteht erst nicht, was ich meine.
    »Warum war dein Mann denn zehn Wochen lang weg?«
    Wieder spreche ich mit Johans Stimme und sage, dass es um einen Auftrag ging, den er schon lange unterschrieben hatte. Sie klingt ungläubig, als sie mich fragt, ob sie mich richtig verstanden habe, und unser Sohn wirklich erst drei Monate alt war. Als ich sage, das stimme, schweigt sie ziemlich lang. Vielleicht notierte sie etwas, aber ich klammere mich an die Ungläubigkeit, die ich zu vernehmen glaubte. Vielleicht überinterpretiere ich, aber ich brauche eine Bestätigung dafür, dass ich so fühlen darf, wie ich fühle. Ich denke die ganze Zeit, dass es Millionen und Abermillionen von Frauen gibt, die viel schlimmer von ihren Männern im Stich gelassen wurden, die mit Kindern und Haushalt ohne die kleinste Ausrede alleingelassen wurden.
    Man sollte das Gewicht der Geschichte nicht unterschätzen. Ich weiß, dass viele nur die Nase rümpfen würden angesichts meines Problems. Das lässt mich immer noch manchmal an der Verhältnismäßigkeit zweifeln. Darf ich überhaupt einen Begriff wie im Stich lassen verwenden? Johan findet, nein. Er meint, wir seien Opfer unglücklicher Umstände geworden, einer Stresssituation, die wir uns nicht ausgesucht

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