Bitterfotze
will, anstatt eine Woche mit Sigge zu Hause zu bleiben. Der Demograf hat keine Ahnung, wie viele egoistische Gefühle in mir Platz haben. Aber ich kann mich immer mit Isadoras klugen Worten trösten.
Ich wusste, dass die Frauen, die das meiste aus dem Leben (und aus den Männern) herausholen, auch diejenigen sind, die am meisten vom Leben fordern, dass, wenn man sich kostbar und begehrenswert gibt, die Männer einen auch kostbar und begehrenswert finden und dass, wenn man sich weigert, als Fußmatte zu dienen, sie auch nicht auf einem herumtrampeln. Ich wusste, dass unterwürfige Frauen sich schlechter Behandlung aussetzen und dass Frauen, die sich wie Fürstinnen geben, auch als solche behandelt werden. Doch kaum war diese aufsässige Stimmung verflogen, überkam mich Trostlosigkeit und Verzweiflung.
Es dröhnt in meinem Kopf. Wer am meisten fordert, bekommt auch am meisten. Eigentlich eine widerwärtige Ideologie, die sich auf wahren Egoismus gründet und das totale Fehlen von Solidarität.
Manchmal denke ich, dass Frauen egoistischer sein müssten. Vielleicht ist der Egoismus eine Möglichkeit für Frauen, mit dem Ungleichgewicht zurechtzukommen.
Dumm nur, dass es so schwierig ist, weil mein privater Egoismus so schnell mit meiner Mädchenerziehung kollidiert, die mich gelehrt hat, eher einen Schritt zurück als einen vor zu gehen.
Zum Beispiel bei einem Fest, da rennen die weiblichen Gäste herum und servieren das Essen und den Wein und den Nachtisch und den Kaffee und den Schnaps, während die Männer in aller Ruhe am Tisch sitzen bleiben und diskutieren und Wein trinken. Mit wem soll ich solidarisch sein? Ich möchte auch viel lieber sitzen bleiben und reden und mich einen Dreck um den verdammten Abwasch kümmern. Ich möchte, dass die Männer aufstehen und sich beteiligen, damit meine intelligenten, unterhaltsamen Freundinnen auch am Tisch sitzen bleiben können. Man kann nämlich kein längeres interessantes Gespräch führen und gleichzeitig den Tisch abdecken, ganz gleich, wie intelligent man ist. Deshalb sind die Gespräche der Männer am Esstisch meist interessanter als die ständig unterbrochenen in der Küche. Und ich bleibe ein bisschen sitzen und laufe ein bisschen und komme mir vor wie eine verdammte Verräterin meines Geschlechts.
Vielleicht war die Befürchtung, dass die Mutterschaft mich schlucken, mich zu einem Muttertier ohne eigene Gedanken und Zeit machen könnte, schuld daran, dass ich nach Paris fuhr, als Sigge erst fünf Monate alt war?
Verwirrt von der schmerzhaften Verwandlung, die mit dem Muttersein bis dahin einhergegangen war, beschloss ich, zusammen mit meiner besten Freundin Sanna eine Woche zu verreisen.
Ich stellte mir ungestörte Nächte vor, in denen ich schlafen konnte, lange Spaziergänge und Gespräche und vor allem unbegrenzte und ersehnte Zeit für mich. Paris sollte das Symbol dafür werden, dass die Mutterschaft mich nicht verändert hatte. Eine Bestätigung, dass ich nach wie vor eine freie Frau mit eigenen Bedürfnissen war.
Was ich nicht erwartet hatte, waren die ungeheure Sehnsucht und die Schuldgefühle, die Besitz von mir ergriffen, kaum dass das Flugzeug abgehoben hatte. Eine rein physische Sehnsucht, mein Herz tat weh, und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Ich konnte nur denken, wie Sigge riecht, wie sein kleiner warmer Körper sich neben mir anfühlt. Und ich fragte mich verzweifelt, wie ich es sechs Tage in Paris aushalten sollte.
Es war ziemlich deprimierend, dass es nicht der Genuss war, den ich mir vorgestellt und den ich erhofft hatte. Am letzten Tag ging ich wie auf glühenden Kohlen. Die öffentlichen Verkehrsbetriebe streikten, und wir liefen den ganzen Tag umher, vom Studentenviertel nach Montmartre und zurück.
Unser Flugzeug sollte abends um acht gehen, wir waren gegen fünf wieder in unserem Hotel, um unser Gepäck zu holen und ein Taxi zu rufen.
Der Mann an der Rezeption lachte nur. Ein Taxi? Es war doch Streik, so kurzfristig gab es keine Taxis. Wenn wir richtig viel Glück hätten, könnten wir vielleicht direkt auf der Straße ein Taxi bekommen, aber er zweifelte sehr, dass es funktionieren würde, außerdem waren wegen des Streiks riesige Staus in ganz Paris.
»Sie werden Ihr Flugzeug verpassen«, erklärte er. Der Zigarettenrauch in der Lobby brannte in den Augen und es drückte mir in der Brust. Ich bekam plötzlich keine Luft mehr und einen Tunnelblick. Der Mann an der Rezeption sagte, er würde eine weitere Nacht für uns
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