Bitterfotze
Hände zu einem Trichter vor dem Mund und stößt ein lautes Trompeten aus, das wie eine brünstige Elchkuh klingt.
Als wir alle lachen, scheint Nils aus seinem Elchtraum zu erwachen, er wird sofort ernst und schaut auf die Uhr.
»So, die Stunde ist zu Ende. Sara, könntest du bitte zu mir kommen, ich möchte mit dir sprechen.«
Ich schaue Cissi fragend an, sie flüstert mir zu, dass sie draußen wartet.
Nils kommt zu mir und setzt sich auf den Rand meines Pults.
»Sara, ich habe festgestellt, dass du dich nicht sonderlich für Mathe und Physik interessierst.«
»Nein, nicht so sehr«, sage ich vorsichtig.
»Nein, das hat sich auch in deiner Physikarbeit gezeigt, die war katastrophal. Aber ich kann nicht zulassen, dass du den Unterricht störst, indem du mich nach meinen Elchjagden fragst. Ich möchte dir deshalb einen Vorschlag machen.«
»Ja?«
»Wenn du still auf deinem Platz sitzt und in der Illustrierten Wissenschaft blätterst, dann gebe ich dir eine vier, ganz egal wie deine Arbeiten ausfallen.«
Ich schaue ihn erstaunt an und verhandle schnell mit mir selbst. Ich habe nicht gemerkt, dass ich störe, aber ich habe gemerkt, dass ich blöd bin und dass Nils es auch gemerkt hat, und dass ich gar nicht zu versuchen brauche zu lernen und zu büffeln.
»Okay«, sage ich verlegen.
Nils lächelt und klopft mir auf die Schulter.
»Gut, dann sind wir uns einig. Du bist ein hübsches Mädchen, Sara, du braucht weder Mathe noch Physik zu können!«
»Okay«, sage ich kurz und gehe zu Cissi, die draußen wartet.
Es ist etwas passiert, etwas hat sich verändert, ich spüre es und Cissi spürt es. Und eines Tages, als wir vor der Galleria stehen, kommt Stefan auf uns zu. Er ist zweiundzwanzig, hat dunkle, lockige Haare und trägt schwarze, schmale Jeans, er ist schrecklich erwachsen und sieht so verdammt gut aus, und jetzt kommt er. Ich habe ihn schon oft in der Stadt gesehen, ich sehne mich nach einem wie ihm, und jetzt kommt er. Er kommt tatsächlich direkt auf uns zu und schaut uns an. Er schaut mich an und lächelt, ich lächle zurück, ich bleibe ganz still stehen, denn ich weiß, wenn ich mich jetzt bewege, dann zittere ich unkontrolliert.
»Hallo!«, sagt er und schaut mir in die Augen.
»Hallo!«, sage ich und schaue zurück.
»Ich habe dich schon ein paarmal in der Stadt gesehen. Ich heiße Stefan, wie heißt du?«
»Sara«, sage ich und versuche zu kapieren, zu begreifen, was er sagt. Dass er mich gesehen hat. Hat er mich gesehen? In der Stadt?
»Möchtest du mit mir nach Hause kommen und einen Kaffee mit mir trinken? Ich wohne gleich hinter der Galleria.«
Ich schaue ihn an, und ich schaue Cissi an, die verlegen auf den Boden starrt, ich versuche verzweifelt zu überlegen, wie ich mich benehmen soll, als mir plötzlich alles egal ist. Das ist ein neues Spiel, anders als unser Hässlichkeitswettbewerb, und ich weiß noch nicht, welche Regeln hier gelten. Ein warmes Kribbeln übermannt mich, es breitet sich von den Beinen in den Unterleib aus, strahlt zum Magen hinauf und erreicht schließlich meinen Mund, der, wie ich erschrocken feststelle, breit lächelt, er lächelt Stefan breit und ungeniert an. Er lächelt zurück und streckt seine Hand aus, ich nehme sie einfach und gehe mit ihm. Ich drehe mich noch um und sage Tschüs zu Cissi, die nicht mehr zu Boden starrt, sondern uns nachschaut.
Hand in Hand gehen wir grinsend zu ihm nach Hause. Seine Hand ist warm, und hin und wieder drückt er meine und schaut mich aus freundlichen braunen Augen an.
Er bleibt vor seiner Haustür stehen, zieht mich zu sich und küsst mich. Ein tiefer, inniger Kuss, alles dreht sich und pocht. Wenn er nur wüsste! Was für großartige Tagträume ich hatte, wie ich mich danach sehnte, bewundert zu werden, wie ich nach Nähe verlangte. Wenn er ahnte, wie ausgehungert ich bin, würde er mich nicht auf diese Art in den Arm nehmen. Aber er weiß es nicht, und ich drücke mich fest an ihn und spüre, wie es zwischen den Beinen feucht wird und anschwillt.
Er wohnt in einer kleinen Einzimmerwohnung mit Kochnische, sie ist mit IKEA – Regalen voller Schallplatten, einem Bett und einem kleinen Sofatisch eingerichtet. Er bietet mir Kaffee an und Zimtschnecken, die seine Mutter gebacken hat, und erzählt mir, dass er immer Zimtschnecken zum Frühstück isst. Ich denke, dass er vielleicht deshalb so einen Mundgeruch hat. Eine Einzelheit, über die ich gerne hinwegsehe, wenn mein Körper ansonsten so freudig und fiebrig
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