Bitterfotze
Auto auf dem Weg nach Hause sagt mein Vater nichts, aber es ist kein bestrafendes Schweigen, ich bin dankbar, dass er nicht mit mir schimpft. Ich schaue geradeaus auf die Straße, sehe, wie die Scheinwerfer gelbe Spuren in die schwarze Nacht malen.
Allmählich funktioniert mein Gehirn wieder, und ich überlege, wie viel mein Vater wohl verstanden hat. Was er gesehen hat. Aber ich sage nichts, traue mich nicht, etwas zu erzählen oder zu fragen, ich spüre, dass meine Wangen immer noch rot sind vor Scham und Tränen und harten Küssen.
Aber dann, als ich in meinem eigenen Bett liege, in meinem eigenen Zimmer, in einem still schlafenden Reihenhaus, da kommt sie, die Angst. Ein Abgrund mit steilen Wänden, die in die Tiefe stürzen.
Ich liege bewegungslos unter meiner Decke und starre ins Dunkel, eine Ewigkeit lang, bis ich höre, wie meine Mutter aufsteht und den Frühstückstisch deckt.
Ich gehe in die Schule wie immer, und als Cissi mich fragt, wie es war und ob ich verliebt bin, da sage ich Ja. Vielleicht ein bisschen. Aber er ist so schrecklich viel älter. Und ich bin trotz allem so hässlich, dass er bestimmt nicht mit mir zusammen sein will.
Und als Stefan am nächsten Abend anruft und Hallo sagt, sage ich auch Hallo. Er schweigt eine Weile, ich auch, aber schließlich sagt er, er glaube nicht, dass es zwischen uns klappen könnte. Nee, sage ich, Tschüs. Tschüs, sagt er.
Eines Abends, ein paar Tage später, als ich von Cissi nach Hause radle, passiert es wieder. Der schwarze Abgrund, der mich plötzlich überfällt. Es ist Herbst, und seit Kurzem ist es abends kalt und dunkel. Ich radle wie immer zwischen Einfamilien- und Reihenhäusern, die Straßen sind leer und still, plötzlich höre ich ein Auto, das langsam hinter mir herfährt. In meinem Kopf saust es, ich traue mich natürlich nicht, mich umzudrehen, ich höre nur, wie es schleichend hinter mir herfährt. Ich radle schneller und höre, wie es auch schneller fährt. Ich meine die Wärme der Scheinwerfer zu spüren, die meine Beine treffen. In meinem Kopf dröhnt es, und als ich den Spielplatz erreiche, biege ich ab und fahre zwischen Schaukeln, Sandkästen und Klettergestellen hindurch. Ich sehe, dass das Auto auf der Straße weiterfährt. Auf dem Spielplatz gibt es ein Telefonhäuschen, ich halte an, aber meine Hände zittern so sehr, dass ich die Münze nicht in den Schlitz stecken kann. Schließlich gelingt es mir, und ich wähle unsere Nummer, ich weiß, dass mein Vater mit seinem Drink auf dem Ledersofa sitzt.
»Papa«, schreie ich weinend, »Papa, ein Auto verfolgt mich!«
»Was sagst du da? Wo bist du?«, antwortet er und ich höre, dass er entsetzt klingt, das macht mich noch ängstlicher, ich weine so sehr, dass ich nicht sprechen kann.
»Sara!«, höre ich ihn schreien, »du musst mir sagen, wo du bist!«
»Auf dem Spielplatz im Park«, bringe ich zwischen den Schluchzern hervor, »ich bin im Park und er ist auch hier irgendwo!«
»Bleib wo du bist, ich komme sofort. Hörst du, was ich sage, Sara?«
»Ja«, sage ich, »mach schnell!«
Ich bleibe stehen und kann mich vor Angst nicht einmal umschauen, denn das Telefonhäuschen ist erleuchtet, und der Park nachtschwarz, und er kann jeden Moment auftauchen. Der unbekannte Autofahrer, der Mann ohne Gesicht.
Aber nichts passiert und schließlich kommt mein Vater, reißt die Tür des Telefonhäuschens auf und drückt mich fest und lange an sich.
Er lädt das Fahrrad ins Auto, und als wir im Auto sitzen, sehe ich, dass auch seine Hände zittern.
»Hast du dir die Autonummer gemerkt?«, fragt er.
»Nein. Ich habe mich nicht getraut, mich umzuschauen. Ich bin nur geradelt«, antwortete ich.
»Mein Gott, wie blöd kann man denn sein«, sagt er böse, »kapierst du nicht, dass wir seine Autonummer brauchen, wenn wir ihn kriegen wollen?«
Ich fange wieder an zu weinen und versuche zu erklären, dass ich solche Angst hatte, dass ich nicht daran gedacht habe. Mein Vater brummt und schimpft den ganzen Weg nach Hause. Murmelt etwas von blöden Weibern und Idioten, ich starre schon wieder in die schwarze Nacht. Ich sehe, wie die Scheinwerfer des Autos gelbe Spuren ins Dunkel malen, und denke, was für ein Glück, dass ich nichts von Stefan erzählt habe. Was für ein Glück, dass ich niemandem ein Wort darüber gesagt habe.
Wie sollte ich erklären können, dass ich erregt war, dass es kribbelte und pochte und plötzlich nichts mehr da war? Dass es plötzlich aufhörte und seine Finger nur
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