Bitterfotze
Durchschnittsnoten in die Klasse kam.
Eines Abends, als ich von Doktor Z nach Hause wanke, treffe ich einen Jungen aus der Schule. Er geht in den naturwissenschaftlichen Zweig, wir kennen uns nicht, aber ich weiß, dass er Oskar heißt und in einer feinen Gegend außerhalb der Stadt wohnt. Gerade als ich an ihm vorbeigehe, zischt er: »Verdammte Kommunistenhure!« Aber ich bin betrunken und wanke lachend weiter.
Am nächsten Tag sitzen Schüler, die den praktischen Zweig der Schule besuchen, in einer Ecke des Schulhofs und rauchen. Sie haben den niedrigsten Status und werden verachtet, weil sie faul sind und nichts erreichen. Ich sehe, dass Oskar und seine Freunde vorbeigehen, sie tragen glatt nach hinten gekämmte Haare und teure Jacken. Sie sagen etwas zu den Rauchern und lachen ordinär. Plötzlich merke ich, wie Oskar und seine Freunde mich anschauen. Dass auch ich zu den Losern gehöre. In ihren Augen bin ich ein Verlierer, und mir schwant, dass sie recht haben könnten.
Es wird kalt, und ich würde sterben, wenn es meine Freunde nicht gäbe. Ich würde sterben, gäbe es nicht die Nähe in den Betten meiner Freunde. Da ist es warm und ruhig, und ich liebe sie alle, einen wie den anderen.
Als ich eines Tages von der Schule nach Hause fahre, knallt es plötzlich in meinem Reifen. Ich steige ab und gehe zu Fuß weiter und will gerade meinen Walkman anmachen, als mein Vater mir auf einem neuen silbern glänzenden Fahrrad entgegenkommt. Wir starren uns erstaunt an, ich war seit einer Woche nicht zu Hause.
»Ich habe einen Platten«, sage ich kurz, ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Es ist ein komisches Gefühl, unter so alltäglichen, ruhigen Bedingungen mit ihm zu reden.
»Aha«, sagt er nur und kaut Kaugummi, er bildet sich ein, man würde so den Schnapsgeruch nicht riechen.
»Hast du ein neues Fahrrad gekauft?«, frage ich.
»Ja, gerade eben. Achtzehn Gänge. Es war nicht billig, aber ich dachte, es ist vielleicht nicht schlecht, ein Fahrrad zu haben«, sagt er, und ich denke an das alte, rostige, gangschaltungslose Fahrrad meiner Mutter, das sie nun seit fünfzehn Jahren fährt. Mit dem sie uns all die Jahre in den Kindergarten gebracht hat, während Vater das Auto fuhr.
An kalten, dunklen Wintermorgen wickelte sie uns in Decken und schob das Fahrrad durch den Schneematsch. Kajsa auf dem Gepäckträger und ich auf dem Lenker. Es war gemütlich, so warm eingewickelt und morgenmüde dazusitzen. Ein rotes gebrauchtes Fahrrad, mit dem sie viele schwere Einkaufstaschen transportiert hat und das sie immer noch fährt.
»Hast du es heute gekauft?«, frage ich.
»Ja, und ich war zum ersten Mal in meinem Leben in einem Solarium«, sagt er und lacht etwas verlegen.
Irgendetwas in mir platzt, und ich weiß nach ein paar Sekunden, dass es meine Verachtung ist. Ich verachte ihn so schrecklich, ich kann es nicht zurückhalten, es strömt durch meinen ganzen Körper.
Ich sehe ihn vor mir, wie er im Solarium liegt und schwitzt wie ein Schwein, mit einem Grinsen auf den Lippen. Und gleichzeitig strampelt meine Mutter sich auf ihrem alten, hässlichen Rad ab, damit sie meinen Bruder rechtzeitig vom Hort abholen und einkaufen gehen kann, und jetzt steht sie vermutlich in der Küche und bereitet das Abendessen vor.
Die Verachtung fließt mir durch die Adern. Weil seine ständigen Wutausbrüche mir Angst machen, weil er meinen kleinen Bruder zu hart anfasst, wenn er mit ihm schimpft. Weil er meinen kleinen Bruder zum Weinen bringt, weil er zu meiner kleinen Schwester sagte, sie sei hässlich, als sie eine Zahnspange bekam. Weil er die rechte Partei Neue Demokratie gewählt hat, und weil er ständig rassistische Sprüche über Muslime und Afrikaner loslässt. Weil er uns mit seiner verdammten Anwesenheit zu Tode quält.
Vielleicht spürt er meine Verachtung, denn plötzlich steigt er auf sein Fahrrad und sagt: »Tschüs, wir sehen uns zu Hause.«
Ich sehe seinen Rücken, als er davon radelt, und frage mich, warum er nicht mit mir zusammen zu Fuß gegangen ist.
Etwas tut mir weh, vielleicht der Kater der Verachtung?
Zu Hause essen wir alle zusammen Spaghetti mit Hackfleischsoße, ohne Vater. Er ist in der Garage und macht irgendetwas. Nie weiß jemand, wo er ist oder was er macht, nur dass er zu den merkwürdigsten Zeiten kommt und geht.
Als wir fertig gegessen haben, gehe ich zu ihm in die Garage. Ich möchte ihn so gerne nicht mehr hassen, und ich schäme mich wegen der tiefen Verachtung, die ich für ihn
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