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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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eine Krake in den Griff nimmt. »Unsere Religionist ohne Fehler«, sagt Ministerpräsident Erdogan, aber bis heute müssen sich Christen hinter Mauern verbergen, um ihren Glauben leben zu können. Da wirbt die türkische Wirtschaft auf einem Plakat mit »starken Frauen«, die das Land vorzuweisen habe, aber Tausende bleiben, ohne dass der Gesetzgeber eingreift, der archaischen Gewalt von Männern ausgeliefert, die sich anmaßen, Frauen »im Namen der Ehre« zum Tode verurteilen zu dürfen. Weit ist dieses Land noch von dem entfernt, was das aufgeklärte Europa ausmacht: die Säkularisierung, die das Glaubensbekenntnis zu einer privaten Angelegenheit macht; die Toleranz, die allen Glaubensrichtungen freie Entfaltung zugesteht; und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die darauf beruht, dass jedem Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, gleiche unveräußerliche Rechte zustehen.
    Was ist die Türkei? Was macht das »Türkentum« aus? Türkische Gerichte scheinen die Antwort auf diese Frage zu wissen: Der Strafsenat, der am 11. Juli 2006 den armenischen Journalisten Hrant Dink nach Paragraf 301 wegen »Verunglimpfung des Türkentums« zu sechs Monaten Haft verurteilte, stellte klar: »Türkentum bedeutet die Gesamtheit der nationalen und ideellen Werte, die aus den humanitären, religiösen und historischen Werten, die die türkische Nation bilden, und aus der nationalen Sprache, den nationalen Gefühlen und nationalen Traditionen resultieren.« Damit wird wieder eine Grenze gezogen, als habe es vor der Herausbildung der türkischen Nation keine Geschichte gegeben; als lebten in dem Land nicht zahlreiche ethnische Minderheiten, die nur mit Gewalt, in einer Zwangstürkisierung, auf diesen nationalen Rahmen verpflichtet wurden; und als dürfe ein Staat, der sich selbst als »säkular« bezeichnet, Anspruch darauf erheben, auch die »Gefühle« seiner Bürger auf das nationale Bekenntnis einzuschwören. Auch die Deutschen glaubten dereinst, mit der »Stunde null« die schuldbeladene Vergangenheit einfach abschneiden und nur noch nach vorn schauen zu können, aber sie holte sie wieder ein: Die Auseinandersetzung mit der Frage »Wer sind wir, woher kommen wir, was haben wir getan und warum?«, blieb auch ihnen nicht erspart.
    Die vergessenen Deutschen
    Auch hier in Deutschland wissen wenige von den Vorgängen, die zum »Holocaust« an den Armeniern geführt haben – obwohl Deutsche dabei involviert waren. Auf beiden Seiten. Den Armeniern stand der evangelische Theologe Johannes Lepsius, Leiter eines Spitals und eines Waisenhauses, zur Seite, der schon 1896/1897 damit begann, in Deutschland Gelder für den Aufbau seines Armenischen Hilfswerks einzutreiben. Er dokumentierte den »Todesgang des armenischen Volkes« und organisierte konkrete Hilfe für die Drangsalierten. Die jungtürkischen Regierungstruppen wiederum wurden von dem deutschen Major Eberhard Graf Wolffskeel von Reichenberg unterstützt, 72
› Hinweis der den Widerstand mit Artillerie niederschießen ließ; Oberstleutnant Böttrich unterschrieb Deportationsbefehle. 73
› Hinweis
    »Das war ein Vorspiel nur«, diese Worte Heinrich Heines gehen mir durch den Kopf, wenn ich an die Beteiligung deutscher Militärs an den grausamen Vernichtungsaktionen denke. Man kann sich des Gedankens kaum erwehren, in dem SS-General Jürgen Stroop, der die Truppen bei der Auslöschung des Warschauer Gettos befehligte, und in Adolf Eichmann, der die Deportation der Juden organisierte, gelehrige Schüler der preußischen Offiziere Wolffskeel und Böttrich zu sehen.
    Auch in Deutschland gibt es Widerstände, sich der Aufarbeitung dieser Geschehnisse anzunehmen. Vielleicht aus Furcht vor den möglichen Folgen? Einem wie Johannes Lepsius ist kein Denkmal gesetzt worden. Auch nicht dem Wuppertaler Schriftsteller Armin T. Wegner, der als Sanitätsoffizier Augenzeuge der Vertreibung und Ausrottung der Armenier wurde und die Öffentlichkeit mit seinen aus dem Land geschmuggelten Dokumenten und Fotos über die Verbrechen vergeblich zu informieren versuchte. Niemand wollte von den Gräueln wissen. Er sei zu dieser Zeit einer der einsamsten Menschen gewesen, schrieb Wegner später. Nach dem Ende des Krieges forderte er in einem Offenen Brief den amerikanischen Präsidenten Wilson auf, gegen den Genozid zu protestieren. Drastisch schilderte er, wie die Armenier sterben mussten: »Erschlagen, erschossen, erhängt, vergiftet, erdolcht, erdrosselt, von Seuchen verzehrt,

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