Bittersüße Heimat.
Regierung an der Rettung der eigenen jüdischen Landsleute vor der nazistischen Verfolgung dokumentiert wird, ebenso der aufschlussreiche Aufsatz von Sabine Hillebrecht »Vertürken? – Die deutschen Emigranten zwischen heimisch werden und fremd bleiben«. Ferner fehlen von den 24 dokumentierten Lebenswegen in der türkischen Ausgabe und Ausstellung drei. 78
› Hinweis Neben dem Theatermann Alfred Braun hat es zwei Frauenporträts getroffen, darunter eine der interessantesten Frauen der Migrantenszene, die österreichische Kommunistin und Romanistin Rosemarie Heyd-Burkart. Der deutsche Katalog zeigt sie 1934 beim Skifahren im Badeanzug auf dem Ulu Dag, einem Berg in der Marmara-Region, und zitiert sie mit sehr direkten Aussagen: »Ein Bleiben in der Türkei kam für uns auf Dauer nicht in Betracht.« So viel weibliches wie politisches Selbstbewusstsein mag den Redakteuren der türkischen Ausgabe missfallen haben. Die nächste Streichung gilt dem Artikel über die Schuljahre von Silvia Rohde, in dem geschildert wird, wie die Kinder der deutschen Emigranten in Ankara von der Privatlehrerin Frau Kudret, von den Kindern »Ku« genannt, unterrichtet wurden. Wollte man verschweigen, dass die deutschen Migranten die türkischen Schulen mieden? Einmal aufmerksam geworden, stelle ich fest, dass Leyla Kudret (Frau »Ku«) auch aus den Lebensläufen ihrer Schüler Edzard Reuter und Gerhard und Wolfgang Ruben gestrichen wurde. Frau »Ku« gibt es in der türkischen Ausgabe nicht.
Gekürzt wurden auch, und zwar durchgängig, Aussagen und Dokumente, die sich kritisch mit dem Verhältnis der Intellektuellen zur Türkei auseinandersetzen. So fehlt bei dem Lebenslauf von Hans und Martha Bodlaender das Zitat: »1948: Entscheidung, die Türkei zu verlassen wegen Ausbildung der Söhne: Unsere Söhne waren Bürger 2. Klasse, da sie keine Moslems waren.« Und manchmal wird auch der Text »redigiert«, beispielsweise bei der Familie Ruben. Deutscher Katalog: »1935 im November Berufung und Übersiedlung der Familie in die Türkei aus politischen Gründen.« In der türkischen Ausgabe heißt es: »Rubens Familie bekommt eine Einladung in die Türkei zu Übersiedlung.«
Zu George Tabori, der sich 1941/42 in der Türkei als Korrespondent und Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes aufhielt, fehlt der Hinweis auf seinen Roman »Das Opfer«. Ich suche in der Zeittafel »Deutschland und die Türkei« nach Informationen über den Untergang der »SS Struma«, von der Tabori in seinem Werk erzählt. Tatsächlich steht da: »1942 am 24. Februar Untergang des Schiffes Struma mit 769 visalosen jüdischen Flüchtlingen aus der Bukowina auf dem Weg nach Palästina.« Im deutschen Katalog ist erklärend hinzugefügt: »Landung oder Durchfahrt war ihnen von der Türkei verweigert worden.« Und in der türkischen Ausgabe? Fehlanzeige.
Hinter diesen vielen Puzzlesteinen an redaktionellen Eingriffen verbergen sich aber noch weitaus größere Manipulationen am Katalog. Diese betreffen zentrale Fragen, die auch in der heutigen Türkei noch ein Politikum sind: das Verhältnis der Türken zum Holocaust und die Haltung zu den eigenen religiösen und ethnischen Minderheiten.
Der Autor des Prologs zur türkischen Ausgabe, Dr. Murat Katoglu, zu dem leider keine biografischen Angaben gemacht werden, behauptet, dass die Anwerbung deutscher Professoren nichts, aber auch gar nichts mit der Situation der Juden in Deutschland von 1933 zu tun hatte. Die deutschen Gelehrten seien nicht als Flüchtlinge vor Nazideutschland in die Türkei gekommen, sondern der Wille der türkischen Regierung, Wissenschaften und Universitätsausbildung auf internationalen Standard zu bringen, habe sie ins Land geholt. Dramatisierende Begriffe wie »Asylsuchender« oder »Immigrant« seien deshalb unangebracht und träfen auf diese Wissenschaftler gar nicht zu. Zunächst erscheint es unverständlich, warum Katoglu so auf diesem Argument insistiert, verständlicher wird es erst vor dem Hintergrund des Ausspruchs von Staatspräsident Inönü: »Die Türkei ist kein Asyl für Menschen, die anderswo unerwünscht sind«, sagte er 1942. Katoglu bedient sich dieser Linie der Argumentation – das enthebt ihn der Auseinandersetzungmit der Politik, die die türkische Regierung in den 1940er Jahren sowohl gegenüber den landeseigenen Juden wie auch gegenüber anderen jüdischen Flüchtlingen und Migranten betrieb.
Die Vorsitzende des Vereins »Aktives Museum«, Christine Fischer-Defoy, weist in
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