Bittersüße Heimat.
geschlossen, 157 Hochschullehrer wurden entlassen. Einen Tag später öffnete die ›Istanbul Universitesi‹ mit 27 türkischen und 38 ausländischen Ordinarien ihre Pforten.
200 deutsche Wissenschaftler wurden in die Türkei berufen, die meisten waren rassisch Verfolgte. Sie übernahmen in der Medizin, den Natur- und Rechtswissenschaften, in der Philosophie und Ökonomie die Ausbildung der türkischen Elite und gaben so der Gesellschaft die von Atatürk gewünschten europäischen Impulse. Insgesamt kamen von 1933 bis 1945 etwa eintausend Personen auf diesem Weg in die Türkei, darunter viele in der Weimarer Republik berühmte und anerkannte Persönlichkeiten, wie Ernst Reuter, der ehemalige Bürgermeister von Magdeburg, später Regierender Bürgermeister von Berlin, der das türkische Verkehrsministerium beriet; Margarete Schütte-Lihotzky, Erfinderin der Einbauküche, die in der Türkei die ersten Mädchenschulen und Frauenberufsschulen baute; der Architekt Bruno Taut, der zahlreiche Gebäude, u. a. den Hauptbau der Literaturfakultät in Ankara, und den Katafalk zum Begräbnis von Atatürk, entwarf.
Der Tod von Atatürk 1938 markierte einen Wendepunkt in dieser glücklichen Beziehung. Danach geriet die Türkei seitens der deutschen Reichsregierung zunehmend unter Druck. Nazideutschland war der größte Handelspartner, über 40 Prozent des Im- und Exports wurden mit Deutschland abgewickelt. Auf Veranlassung der deutschen Regierung verlangte die Türkei ab 1938 »Ariernachweise« von den im Land ansässigen Reichsdeutschen. Neue Flüchtlinge wurden nicht mehr ins Land gelassen. Da lange Zeit nicht klar war, auf welcher Seite die Türkei in den Krieg eintreten würde, wuchs die Unsicherheit unter den Emigranten. Wer konnte, verließ das Land, meist in Richtung USA . Ende 1944 wurde die Lage ganz bitter: Wer nicht über einflussreiche Fürsprecher verfügte, wurde im anatolischen Hinterland interniert.
Berufsverbot
Nach dem Krieg stellten sage und schreibe zehn der eintausend Migranten einen Einbürgerungsantrag. Denn dabei kam ein Gesetz von 1937 zur Anwendung, das Ausländern fast jede qualifizierte Arbeit – als Ingenieur, Rechtsanwalt oder Arzt –, aber auch einfache Tätigkeiten, wie die eines Pförtners oder Kellners, und künstlerische Berufe als Schriftsteller, Fotograf oder Schauspieler verbot. 75
› Hinweis Diese waren und blieben türkischen Staatsbürgern vorbehalten. Damit hoffte man, die im Osmanischen Reich ungebildet gehaltene muslimische Bevölkerung vor dem Wettbewerb mit anderen, wie den Armeniern, Griechen, Juden oder ins Land geholten Ausländern, zu schützen. Gleichzeitig sollte das Türkentum gestärkt werden, denn nur wer sich, auch wenn er zu einer anderen Volksgruppe gehörte, als Türke bekannte, durfte die genannten Berufe ausüben. Erst im Rahmen der Verhandlungen über einen EU-Beitritt sollen diese Regelungen heute gelockert werden.
Nur 28 deutsche Wissenschaftler blieben nach 1945 in der Türkei. Das Land hatte kein Interesse mehr an den einst Umworbenen, ihre Aufgabe, eine neue Generation von türkischen Experten heranzubilden, wurde als erledigt betrachtet. »Alle, soweit sie noch kriechen können, möchten weg, keiner kann. Pässe haben wir keine, wie seit alters her«, schreibt der Migrant Friedrich Breusch 1947 aus Istanbul an Ernst Reuter in Berlin.
Frau »Ku« gibt es nicht
Die »Haymatloz«-Ausstellung, die 2007 in Istanbul und anderen türkischen Städten gezeigt wurde, informiere, teilte das Goethe-Institut mit, über »die Immigration deutscher Intellektueller in die Türkei und deren Beteiligung am Reformprozess der jungen Republik. Durch die Aufarbeitung des Themas in den vergangenen Jahren wurde ein bedeutendes Kapitel deutsch-türkischer Beziehungen erschlossen«. 76
› Hinweis Begleitend zur Ausstellung, die auf Aktivitäten und Materialien des Vereins »Aktives Museum«, des Goethe-Instituts und der Akademie der Künste in Berlin aus dem Jahr 2000 zurückgeht, erschien sowohl ein deutscher wie ein türkischer Katalog. 77
› Hinweis
Legt man die Bände nebeneinander, muss man allerdings – trotz ähnlicher Gestaltung – erhebliche Unterschiede feststellen. Die deutsche Ausgabe ist mit 235 Seiten mehr als dreimal so umfangreich wie die türkische mit 72 Seiten. In Letzterer fehlen alle 13 wissenschaftlichen Beiträge, zum Beispiel der Aufsatz über »Türkinnen und Türken im Holocaust« von Mirjam Schmidt, in dem das Desinteresse der türkischen
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