Bittersüße Heimat.
muslimischen Umma über, der Gemeinschaft der Gläubigen, und wurden unter die Steuerverwaltung von Gouverneuren gestellt.
Begünstigte Soldaten, sipahis , erhielten, wenn sie lange erfolgreich gedient hatten, statt eines Solds ein timar , ein Lehen. Eine solche Pfründe brachte ein auskömmliches Einkommen von drei- bis zwanzigtausend akces , der im Osmanischen Reich üblichen Silberwährung. Dafür musste der sipah i Wehrdienst in der Armee des Sultans leisten. Offiziere bekamen größere Pfründen, zeamets , und privilegierte Beamte, wie Wesire, erhielten ein Vielfaches dessen, was ein tima r einbrachte. Für dieses Privileg musste dann pro 5000 akce s Einkommen ein Soldat gestellt werden. Verwaltungstechnisch war dies höchst effizient, hatte man so doch immer genügend Soldaten und musste nur den Überschuss verwalten – solange es etwas zu verteilen gab.
Die Lehen wurden aus Konstantinopel per ferman , Schreiben des Padischah, gewährt und konnten ebenso wieder entzogen werden, erblich waren sie nicht. Und wenn die Kasse des Padischas leer war, wurden Pfründen und Ämter an die Meistbietenden verkauft. »Der Verkauf der Ämter bleibt die große Hauptquelle der Staatseinnahme«, schreibt Helmuth von Moltke. »Der Kandidat borgt den Kaufschilling bei einem armenischen Handelshause, und die Regierung überlässt diesen Generalpächtern, ihre Provinzen zu explorieren, wie sie wollen (…) Dabei haben sie jedoch einen mehr bietenden Bewerber zu fürchten, der ihnen nicht Zeit lässt, reich zu werden, andererseits den Fiskus, wenn sie reich geworden sind.« 87
› Hinweis
Langfristig wirkte sich dieses System extrem hemmend auf die Entwicklung des Landes aus. Der timariot , der sein Land wiederum an Bauern verpachtete, hatte kein Interesse an dem, was angebaut wurde, sondern nur daran, wie viel Profit er daraus ziehen konnten. Korn war am besten zu vermarkten, war es doch im Gegensatz zu Gemüse transportabel und lagerfähig. Aber da die Lehnsherren nicht wussten, ob sie langfristig das Lehen behalten konnten, investierten sie nicht in die Entwicklung der Höfe, Mühlen oder Speicher. Vererben durften sie ohnehin nur Bares und hatten dementsprechend auch kein Interesse am Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur. So war in Anatolien selbst das Brot kein Grundnahrungsmittel, denn dafür brauchte man Mühlen. Man schrotete den Weizen lieber zu Bulgur. Die Bauern mussten ihre Ernte an zentralen Abgabestellen, den kapan eminleri , abliefern.Der Kaufpreis für das Korn wurde zentral bestimmt, und wenn die Bauern mit dem Erlös nicht über den Winter kamen, sank die Produktion dramatisch. Anfang des 19. Jahrhunderts, nachdem die zunehmend rebellischer werdende Janitscharenarmee, die Elitetruppe des Sultans, nach einem blutig niedergeschlagenen Aufstand vom Sultan aufgelöst wurde, hatte das auch Folgen für die Timars. Ohne den Druck der sipahis wollte niemand mehr das Land beackern und Getreide anbauen. So musste die Regierung Korn in der Ukraine kaufen, während vor den Toren Istanbuls fruchtbares Ackerland unbestellt blieb.
Das Timar –System funktionierte nur so lange, wie das Reich expandierte und die Feldzüge regelmäßig Land und Beute einbrachten, die verteilt werden konnten. Es scheiterte letztlich daran, dass es keine besitzende Schicht entstehen ließ, die ein Interesse an der Zukunft ihres Besitzes hatte und bereit gewesen wäre, sich auf neue veränderte Bedingungen einzustellen.
Reichtum bemaß sich im Selbstverständnis dieser Gesellschaft nicht am Besitz an Grund und Boden oder eines Hauses, sondern reich war, wer Bares besaß. »In der Türkei ist die Münze das Gut selbst«, schrieb Moltke vor mehr als 150 Jahren. »Der Rajah [Untertan] wird lieber ein Geschmeide für 100.000 Piaster kaufen, als eine Fabrik, eine Mühle oder ein Vorwerk anlegen. Nirgends gibt es mehr Vorliebe für Schmuck als hier, und die Juwelen, welche in reichen Familien selbst Kinder von wenigen Jahren tragen, sind ein glänzender Beweis für die Armut des Landes.« 88
› Hinweis
Diese Beziehung zum Schmuck und zum Gold hat sich bis heute erhalten. Gold wird zur Geburt, zur Beschneidung, zur Hochzeit verschenkt. Gold ist die Währung, mit der die Braut gekauft wird. Den gelin , den Bräuten, werden von den Gästen Armreifen, Colliers, Diademe oder Medaillen angesteckt. Gold ist das Gut mit der höchsten Reputation, die Währung mit der höchsten Wertschätzung. Es gibt keinen Ort in der Türkei, an dem man nicht Gold
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