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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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Restaurieren des avl u würde ein Vermögen kosten. Außerdem liegt er mitten in der Altstadt, in der Nähe des Basars. Dort wohnen immer weniger Familien. Die meisten sind längst in die Neubauviertel gezogen, und so rotten die Häuser vor sich hin.«
    Mit den alten Häusern starb auch die Tradition des Hoflebens. Viele Frauen wollen nicht mehr in einen Hof verheiratet werden. Denn dann müssten sie der Familie des Mannes dienen, bis sie selbst Schwiegermütter sind. Zu ihren täglichen Pflichten gehörte es, erst ins Bett gehen zu dürfen, nachdem sie ihren Schwiegereltern die Betten gemacht, die Füße gewaschen, sie umgezogen und die Älteren keine Wünsche mehr hatten.
    Die große Waschung
    Aytens Großmutter schlief, wie alle jungen Ehefrauen, entweder bei ihren Kindern oder bei ihrem Mann, der hinter einem Vorhang neben seiner Mutter nächtigte. Nur wer es sich leisten konnte, verfügte als Ehepaar über ein eigenes Schlafzimmer. Nach dem Beischlaf müssen nach islamischer Vorschrift die Eheleute noch in der Nacht, möglichst ohne jemanden zu wecken, die kusulabdest , die große Waschung, vornehmen. Sonst bleibt man »beschmutzt« und lebt in Sünde. »So verzog sich meine Großmutter manchmal um zwei Uhr morgens mit eiskaltem Wasser in eine Ecke und stellte sich auf eine breite Strohmatte, um beim Waschen keinen Lärm zu machen«, erzählt Ayten. Wenn die Schwiegermutter am nächsten Morgen den Wasserfleck entdeckte, habe sie oft gemurmelt: »Wieder hat sie meinen Sohn um den Verstand gebracht …« Wenn sie allerdings länger keinen sah, habe sie gedroht: »Habe ich einen vertrockneten Zweig für meinen Sohn gekauft? Du musst dich nicht wundern, wenn ich bald die Zweite hole.«
    Heute möchte eigentlich keine von den jungen Frauen mehr mit der Schwiegermutter zusammenleben. Und trotzdem versucht man, die Familientraditionen in den Apartmenthäusern fortzusetzen. »Ich weiß aus eigener Erfahrung«, meint Ayten, »vor welchen Problemen die Frauen dabei stehen, denn ich selbst habe diese alle durchgemacht.« Und dann beginnt Ayten, ihre eigene Geschichte zu erzählen.
    Ich war »versprochen« worden
    »Ich besuchte die siebte Klasse und war noch nicht einmal 16 Jahre alt, als ich mit meinem Cousin verheiratet wurde. Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam, erfuhr ich, dass ich versprochen worden war – kein Weinen, kein Flehen hat etwas genutzt, die ›Älteren‹ hatten bereits ihre Verabredungen getroffen. Auch ich musste – wie meine Großmutter damals – zu meiner Tante und Schwiegermutter ziehen, wo ich rund um die Uhr unter Bewachung stand. Meinen Mann sah ich nur nachts.
    Das Elend der Frauen hier ist die frühe Verheiratung. Bevor ein Mädchen erwachsen ist, bevor es seine eigene Persönlichkeit hat entwickeln können, wird es einem Mann versprochen. Ich litt so sehr darunter, dass ich als Mädchen von Verboten geradezu umzingelt war: keine Hosen! Kein schönes Kleid! Ich musste zwar kein Kopftuch tragen, meine Eltern waren modern und nicht religiös. Aber irgendwann durfte ich keine Freundinnen mehr besuchen, nichts mehr ohne Kontrolle der Familie unternehmen. So träumte ich wie so viele andere Mädchen immer nur von Freiheit, von der Freiheit, endlich einmal etwas für mich tun zudürfen. Die Ehe erscheint vielen hier als rettender Strohhalm: Heirate reich, dann fängt das Leben an. Aber auf die jungen Frauen wartet nicht das Leben, sondern die Schwiegermutter. Sobald sie die Braut im Haus hat, versucht sie, sie nach ihren Vorstellungen zu formen. Man muss sich anpassen, sonst hat man keine Überlebenschance. Meine kaufte mir die Kleidung, die ich fortan anziehen musste, sie setzte mir auch ein Kopftuch auf. Ich saß nur zu Hause, machte den Haushalt und bediente sie und die Familie. Und nachts konnte mein Mann mit mir machen, was er wollte – als Frau muss man dabei auch noch stumm bleiben, weil die Schwiegereltern nebenan horchen. Man kann nicht einmal seinen Schmerz hinausschreien. Es ist entwürdigend. Ich war fassungslos, als ich begriff, dass mit der Ehe das Elend erst richtig beginnt. Warum wollte man mich zu einer Person machen, die ich nicht war?
    Immer wieder versuchte ich meinen Mann zum Auszug zu überreden. Als meine Schwiegereltern das erfuhren, haben sie uns dann selbst vor die Tür gesetzt. Mein Mann verlor seine Arbeit bei seinem Vater. Es war eine schlimme Zeit. Da ich aber schon immer gut handarbeiten konnte, fing ich an, zu häkeln und zu nähen. Eines Tages las

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