Bittersüße Heimat.
ich, dass hier bei uns eine Haushaltsschule für Mädchen eröffnet worden war, und fragte dort nach, ob ich den Schülerinnen etwas beibringen dürfe. Am Anfang war es für mich nur eine Gelegenheit, aus dem Haus zu kommen. Irgendwann gab mir die Schulleitung ein Stück Filz – daraus sollte ich doch etwas machen. Ich mochte dieses Material sofort und zauberte im Handumdrehen eine kleine Tasche daraus. Das verschaffte mir die Einstellung als Lehrerin. Nach einigen Weiterbildungen bin ich heute die einzige Filzmeisterin der Stadt. Ich unterrichtete dieses Fach einige Jahre. Gleichzeitig habe ich mithilfe eines Fernkurses meine mittlere Reife nachgeholt. Inzwischen besuche ich auch im Fernkurs das lise , das Gymnasium, das dauert drei Jahre. Ich bin jetzt in der zweiten Klasse und hoffe, dass ich es schaffe. Für viele Frauen sind diese Fernkurse eine gute Möglichkeit, ihre Schulbildung nachzuholen, was ihnen das Leben zunehmend erleichtert. Bei anderen allerdings führt es dazu, dass sie überhaupt nicht mehr aus dem Haus kommen.
Als ich die Frauen von Ka-mer kennenlernte, fühlte ich mich nach den ersten Treffen wie ausgezogen, nackt. Sie sprachen allesaus, was ich immer schon gespürt und gewusst, aber nie auszusprechen gewagt habe. Diese unendliche Ungerechtigkeit uns Frauen gegenüber! Manchmal wünschte ich mir nach solchen Treffen, eine arme Bäuerin zu sein, einfach als Unwissende mein Leben zu leben und froh zu sein, wenn alles irgendwann vorbei ist. Man wird ja nicht glücklicher, je mehr man über sein Elend weiß, es macht auch unendlich traurig.«
Getrenntes Leben
Nach einigen Ehejahren sei nicht mehr die Schwiegermutter das zentrale Problem für die Frauen, die Männer seien es, die ihr eigenes Leben, getrennt von ihren Frauen, führen, schildert Ayten ihre Erfahrungen. »Nie müssen sie Auskunft geben, wo sie hingehen und wann sie wiederkommen. Ein Mann sagt, ich gehe, und dann geht er. Er kennt es nicht anders. So besuchen sich die Frauen untereinander und haben nur ein Thema: Wie viele Geliebte hat mein Mann? Was macht er den ganzen Tag über? Wie verbringt er die Nächte, wenn er nicht zu Hause ist? Wenn die Frau danach fragt, setzt es Schläge.
Viele der Männer verschulden sich, besuchen Puffs, die es offiziell natürlich nicht gibt, weil Bordelle verboten sind. Aber es gibt unzählige ›Häuser‹, die als Konzerthäuser oder als andere nur den Männern zugängliche Einrichtungen getarnt sind. Dort spielen sie Glücksspiele und verprassen das Geld. Wir haben viele Fälle, wo wir Frauen und Kinder vor dem Verhungern retten müssen, weil der Mann kein Haushaltsgeld gibt. Das ist auch eine Methode, die Frau mundtot zu machen – mit ökonomischer Gewalt. Wenn sie schweigt, gibt es Geld, wenn sie sich beschwert, gibt es Prügel und kein Geld.
Auch die Männer sind meist zwangsverheiratet worden, die Frauen an ihrer Seite kennen sie gar nicht, aber sie können sich an ihr rächen für ihr eigenes Schicksal, das sie nicht selbst entscheiden durften. Die Braut ist die rechtloseste Figur in diesem ganzen System, der Mann hat zumindest noch über sie die Macht.
Ich selbst hatte Glück mit meinem Mann. Er spielt leidenschaftlich gern Fußball und war immer auf dem Platz. So wusste ich wenigstens, wo er sich aufhielt. Und er brachte oft seine Fußballfreunde mit nach Hause. Solange wir noch mit meiner Schwiegermutter unter einem Dach lebten, warf sie mir vor, es sei eine Schande, dass ich den Männern – natürlich verschleiert – Tee und Kaffee selbst servierte, statt an die Tür zu klopfen, damit mein Mann das Tablett holt. Er werde mich eines Tages verstoßen, wollte sie mir einreden, weil ich offensichtlich gern fremde Männer anschaue. Aber mein Mann hörte nicht auf sie. Ich trage auch kein Kopftuch und keine religiösen Kleider mehr, mein Mann hat mir das erlaubt. Auch bei meiner Arbeitssuche wie auch bei meiner jetzigen Arbeit hat er mich immer unterstützt. Dafür bin ich ihm dankbar.
Seit zwei Jahren arbeite ich für Ka-mer. Ich will meine Erfahrungen als zwangsverheiratete Braut an andere Frauen weitergeben. Ich bilde Filzmeisterinnen aus und biete Filzkurse an, denn es gibt kaum Arbeitsmöglichkeiten für Frauen. Die Sachen verkaufen wir dann. Ich bin stolz, es so weit geschafft zu haben.«
Ich freue mich mit Ayten und kaufe ihr eine ihrer wunderschönen Filzketten ab. Peter hat im archäologischen Museum auf mich gewartet. Er zeigt mir in der Vitrine Skulpturen aus dem 8.
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