Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
Vom Netzwerk:
Jahrtausend vor Christus. Es sind kleine Göttinnen.

Die schönsten Pistazien
    Der orientalische Basar in Gaziantep ist wie überall nach Gewerben organisiert. Besonders die Bäcker, die wunderbare Kreationen aus Pistazien herstellen, scheinen hier ihre Meisterschaften auszutragen. Wir schlendern durch die engen Gänge und werden von den Verkäufern misstrauisch beäugt, als ich mir Tschadors ansehe und Peter unbedingt einmal die Pluderhosen anprobieren will. Der Verkäufer guckt grimmig und behauptet, keine zu haben – dabei sind seine Regale voll davon.
    Wir gehen schließlich in einen simitci , einen Frühstücksladen, von dort können wir die beiden Einkaufsstraßen sehen, die sich hier kreuzen. Die Fenster stehen offen, man hört das geschäftige Treiben vom Basar. Der Blätterteigkuchen mit Pistazienfüllung schmeckt hervorragend, ein schöner Morgen. Rings um uns herum vorsichtig flirtende junge Menschen, offensichtlich Studentin nen oder Schüler. Neben uns am Tisch sitzt ein Soldat in Uniform mit zwei jungen Kopftuch-Frauen. Sie wirken sehr schüchtern, reden kaum miteinander und schauen sich nicht an. Eins der beiden Mädchen scheint als Alibi mitgekommen zu sein, damit niemand der anderen nachsagen kann, sie sei allein mit einem Mann im Café gewesen. Der junge Mann starrt vor lauter Verlegenheit in sein Teeglas.
    Von der Straße ist plötzlich lautes Geschrei zu hören. Eine Frau in traditioneller Dorfkleidung stolpert durch die Straße und hält ein blutiges Handtuch ans Gesicht gepresst. Um sie herum sind Männer, die ihr laut rufend den Weg durch die Menge bahnen. »Die Nase, die Nase ist ab«, schreit einer der Männer. »Lasst uns durch, sonst verblutet sie! Ein Taxi, schnell!« Die Männer zerren die Frau an den parkenden Autos vorbei und winken nach einem Taxi. Einige der Gäste sind aufgesprungen, andere kümmert das alles nicht. Zwei Tische weiter empört sich eine rauchende Frau: »Dass sie sich nicht schämen, ihr Elend uns auch noch vorzuführen!« Plötzlich erinnere ich mich an Zeitungsberichte über verstümmelte Mädchen und an ein Gespräch mit einer der Frauen von Ka-mer, die erzählte, dass den Frauen und Mädchen, die nicht gehorchten, nicht selten die Nase abgeschnitten oder das Gesicht mit Säure verätzt werde. Ich schaue noch einmal nach der Frau, aber sie ist bereits im Gewühl des Verkehrs verschwunden.
    Geschlossene Gesellschaft
    Am Nachmittag bin ich bei einer Gruppensitzung der Ka-mer-Frauen. »Wir haben seit fünf Jahren unsere Beratungsstelle und wollen eigentlich etwas gegen die häusliche Gewalt unternehmen. Das ist uns noch nicht gelungen. Die Hälfte der hiesigen Bevölkerung sind Türken, die mehrheitlich bei der nationalistischen MH P sind. Dann haben wir die bei der PK K organisierten Kurden und ein nahezu verschlossenes arabisches Viertel, zu dem Nichtaraber gar keinen Zugang haben. Und es gibt große Stadtviertel, die gecekondus , wo die aus dem Dorf zugezogene Landbevölkerung wohnt, die entweder alevitisch oder kurdisch ist. Das alles macht unsere Arbeit sehr schwer. Wir erreichen die Frauen gar nicht. Es gibt zwar neue gesetzliche Bestimmungen aus Ankara, mehr ge gen die Gewalt in den Familien zu unternehmen, aber bis jetzt steht das nur auf dem Papier. Wenn uns Frauen vom Bürgermeisteramt geschickt werden, dann stellt sich im Gespräch heraus, dass ihnen gesagt wurde, wir könnten ihnen Arbeit vermitteln. Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht sind, schicken sie uns nicht. Sie behaupten, es melde sich eben niemand. Hinzu kommt, dass die Menschen kein Vertrauen zu den Behörden haben. Denn überall herrschen Willkür und Vetternwirtschaft, besonders bei der Polizei«, berichtet eine der Frauen.
    Es entbrennt eine heftige Diskussion, jede der Frauen erklärt sich die Misserfolge der letzten Jahre auf ihre Weise. »Wenn wir mit den Frauen über ihre Probleme sprechen wollen, winken sie ab – das könnten sie auch mit ihrer Nachbarin bereden. Über grundsätzlichere Themen wie die Strukturen von Gewalt, die allgemeine Situation der Frauen, die Erziehung der Kinder wollen sie auch nicht sprechen. Und wenn wir über das Verhalten der Männer reden wollen, denken sie, wir wollten sie von ihren Männern trennen.«
    Dabei, darin sind sich alle einig, herrschen schlimme Zustände. Jede zweite Frau in Gaziantep wird betrogen. Die Männer heiraten traditionell, leben aber außerhalb des Hauses ihr eigenes Leben. Es gibt ein Rotlichtviertel und Prostitution, Alkohol-

Weitere Kostenlose Bücher