Bittersuesser Verrat
Amelie.«
»Ich kann ein Portal öffnen«, flüsterte Claire und versuchte dabei, so leise zu sein, dass Morley, der sechs Meter weit weg stand, sie nicht hören konnte. Amelie warf ihr einen Blick zu, einen dieser Blicke.
»Wenn ich auf diese Weise einfach gehe, sogar mit euch allen, kann er behaupten, dass er mich besiegt und davongejagt hat«, sagte sie. »Einfach entkommen reicht nicht.«
»Genau«, sagte Morley und klatschte. Das Geräusch war entsetzlich und laut, als es von den Grabsteinen widerhallte. Eine Schar Vögel flog aufgeregt zwitschernd aus den Bäumen auf. »Du musst mein Fehlverhalten erst beweisen. Und das, meine liebe Lehnsherrin, wird schwierig werden. Große Klappe und nichts dahinter, wie man in dieser Gegend so schön sagt. Es sei denn, du zählst diese drei da als Unterstützung, aber dann würde ich die Klappe nicht so weit aufreißen.
»Das langweilt mich. Greif an oder tu einfach nichts, so wie immer«, sagte Amelie. »Wir gehen so oder so.« Sie drehte sich zu den Übrigen um und sagte mit genau der gleichen kühlen, ruhigen Stimme: »Ignoriert ihn. Morley macht immer so ein Getue. Er ist ein Feigling, ein Lügner und völlig heruntergekommen. Er verkriecht sich hier, weil er Angst hat, dass, wenn er zu uns Übrigen steht, herauskommt, was für ein armseliger, unzureichender Bettler er...«
»Tötet sie alle!«, schrie Morley und stürzte auf Amelie zu.
Michael stieß frontal mit ihm zusammen und die beiden stürzten über Grabsteine. Claire wirbelte herum, als Schatten aus der Dunkelheit hervortraten, die sich zu schnell bewegten, als dass man sie deutlich hätte sehen können, ihr Puls raste und sie machte sich bereit zum Kämpfen.
Amelie sagte nur: »Oliver, bitte zeig Morley, weshalb er sich so schrecklich geirrt hat.«
Einer der Schatten trat heraus ins Mondlicht - und das war definitiv kein Fremder. Oliver, nach Amelie die Nummer zwei in Morganville, trug seine harmlose Cafébesitzer-Verkleidung – das gebatikte Shirt mit dem Common-Grounds-Logo vorne drauf, dazu Jeans - und hatte sein ergrautes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Er sah aus wie ein Kaffeehaus-Revoluzzer.
Nur seinem Gesichtsausdruck ließ sich entnehmen, dass er absolut nicht begeistert war, auf Amelies Geheiß hier zu sein, und noch weniger begeistert schien er von der Tatsache, dass er sich mit Morley herumschlagen musste. Die Gestalten, die hinter ihm aus der Dunkelheit traten, waren jedenfalls nicht Morleys Leute sondern Olivers... herausgeputzte, aalglatte Vampire mit einem Hauch von Kälte und Distanz, der Claire schaudern ließ. Sie waren höflich, aber gleichzeitig waren sie Killer.
»Michael«, sagte Oliver, »Lass den Narren los.« Michael schien ebenso überrascht zu sein wie Morley - oder auch Claire -, aber er ließ den anderen Vampir los und trat zurück. Morley sprang auf die Füße, dann hielt er inne, als er Oliver und sein ganzes Gefolge erblickte. »Deine Anhänger - wenn man ein Rudel verhungernder Hunde überhaupt so bezeichnen möchte - konnten davon überzeugt werden zu verschwinden. Du bist allein, Morley.«
»Schachmatt«, sagte Amelie leise. »Strategie, nicht Taktik. Ich nehme an, du verstehst den Unterschied.«
Morley verstand. Er zögerte einen Moment, dann stürzte er sich in den Schutz aus Grabsteinen und Schatten und war einfach ... weg.
Krise überstanden.
»Nun«, sagte Eve. »Das war enttäuschend, in Filmen gibt es dann wenigstens immer Kickboxen.«
Oliver drehte den Kopf ein wenig, warf Amelie einen raschen, vielsagenden Blick zu, der an dem Blut an ihren Händen hängen blieb. Sein Mund zog sich angewidert zusammen. »Bist du hier fertig?«, fragte er.
»Ich glaube schon«, sagte Amelie.
»Wenn du erlaubst, bringe ich dich nach Hause.«
Ihr Lächeln wurde zynisch. »Machst du dir solche Sorgen um mich, mein Freund? Wie liebenswürdig.«
»Überhaupt nicht. Ich bin sehr erfreut darüber, dass ich bei der Verteidigung deiner Ehre von Hilfe sein konnte.«
»Michael hat mich verteidigt«, sagte Amelie. »Du bist einfach nur aufgetaucht.«
Claire dachte: Auch das hat gesessen. Sie merkte, dass Eve dasselbe dachte. Keine von ihnen hatte jedoch den Mut, es laut auszusprechen.
Oliver zuckte mit den Achseln. »Strategie und Taktik. Ich kenne den Unterschied. Und ich habe Schlachten gewonnen - im Gegensatz zu Morley.«
»Aus diesem Grund verlasse ich mich auf dich, Oliver, auf deinen Rat. Ich vertraue darauf, dass ich auch weiterhin in dieser Beziehung
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