Bittersuesser Verrat
bedeutete, dass es nicht Shane gewesen war, der sie ausgezogen hatte.
Die Lichter blendeten sie und sie waren grausam. Claire wimmerte, als sie den roten Fleck sah, der ihr Gesicht war. Weiße Stellen zeichneten sich darauf ab, unter denen sich - unter den ersten Hautschichten - Blasen gebildet haben mussten. Vorsichtig drückte sie auf ihr Gesicht; es tat weh - sehr weh. »Dafür bringe ich dich echt um, Myrnin«, sagte sie. »Und dann werde ich lachen.«
Die Dusche war furchtbar. Das heiße Wasser explodierte förmlich auf den Verbrennungen, und nur weil sie die Zähne zusammenbiss und eine Reihe grausamer und kreativer Arten, wie sie ihren Boss killen könnte, vor sich hin sagte, überstand sie es. Danach fühlte sie sich ein wenig besser, sah aber ihrer Meinung nach noch schlimmer aus. Nicht dass das wirklich einen großen Unterschied gemacht hätte.
Im Flur traf sie auf ihre Mutter, die gerade mit einem Stapel ordentlich zusammengelegter Laken und Handtücher im Arm die letzten Stufen heraufkam. »Oh, du bist schon aufgewacht, Liebes«, sagte Mom und warf ihr ein zerstreutes Lächeln zu. »Soll ich vielleicht deine Bettwäsche... oh, mein Gott, was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«
Der Wäschestapel geriet ins Wanken und Claire fing ihn auf.
»So schlimm ist es nicht«, log sie. »Ich, äh, bin eingeschlafen. In der Sonne.«
»Liebling, das ist gefährlich! Hautkrebs!«
»Ja, ich weiß. Tut mir leid. Es war ein Unfall. Gehören die hier in den Wäscheschrank?«
»Oh... warte, ich nehm sie dir ab. Ich habe ein System.« Die Drohung, Moms sorgfältig zusammengelegte Wäsche durcheinanderzubringen, hatte den gewünschten Effekt: Mom ließ Claires Sonnenbrand als Thema fallen und konzentrierte sich auf das Naheliegende. »Frühstück ist fertig, Liebes. Oje, dein Gesicht - soll ich dir eine Lotion holen?«
»Nein, ich habe schon eine. Danke.« Claire ging zurück in ihr Zimmer, zog sich vollends an und öffnete ihren Rucksack. Ehrlich gesagt hatte der Rucksack schon bessere Tage gesehen; der Nylonstoff war an einigen Stellen zerrissen und ausgefranst, auf der Rückseite waren Flecken, von denen sich Claire unangenehm bewusst war, dass es sich um Blut handelte. Auch die Riemen lösten sich allmählich ab. Vielleicht lag es daran, dass sie immer so viel hineinstopfte. Sie ruckelte an den Büchern, bis es ihr gelang, Teilchenphysik für Fortgeschrittene herauszuziehen und das enttäuschend unzureichende Grundlagen der Matrixberechnung, was ungefähr der schlechteste Text war, der je zu diesem Thema verfasst wurde. Dahinter steckten ein riesiges, bleischweres Buch über englische Literatur und all ihre farbkodierten Hefte. Und dahinter war all das andere Zeug. Alchemie und die hermetischen Künste, was weniger ein Lehrbuch war, sondern eher analysierte, warum das ganze Fachgebiet Schwachsinn war. Myrnin hatte es nicht empfohlen; Claire hatte es im Internet auf einer Website bestellt, die einem Typen gehörte, der auf gruselige Weise paranoid war. Wenn er wüsste, was sie wusste, wäre er wahrscheinlich schreiend davongelaufen, deshalb war Paranoia vielleicht die einzig richtige Einstellung.
Hinten in ihrer Klettverschlusstasche befand sich ihre Spezial ausrüstung - extra für Vampire: Ein paar schwere, silberbeschlagene Pfähle, die sie hoffentlich nie würde benutzen müssen, und ein paar Spritzen, die sie und Myrnin mit dem Serum gefüllt hatten, das Dr. Mills entwickelt hatte - nur für den Fall, dass noch immer ein paar Vampire herumliefen, die noch nicht geimpft und deshalb, gelinde gesagt, instabil waren. Und sie fragte sich, ob Morley vom Friedhof vielleicht dazugehörte, aber andererseits war sie froh, dass sie ihm nicht nah genug gekommen war, um eine der Spritzen benutzen zu können.
Ganz nach hinten gerutscht war der zusammengefaltete Zettel mit einer in Symbolen aufgeschriebenen Zahlenfolge, den Myrnin ihr gegeben hatte. Wie jeden Tag prägte Claire sich die Zahlenfolge ein. Sie würde sich später selbst prüfen, die Symbole auswendig aufschreiben und sie dann mit dem Original vergleichen. Myrnin hatte zwar gesagt, dass die Reset-Zahlenfolge nur in Notfällen verwendet werden dürfe, aber sie hatte das Gefühl, dass sie garantiert nicht die Zeit haben würde, seine schlampigen Zeichnungen zu entziffern, wenn es wirklich dazu kommen sollte.
Sie packte ihren Rucksack neu, wobei sie sicherstellte, dass sie dieses Mal die Bücher leicht herausnehmen und hineinstecken konnte, und hievte ihn
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