Bittersuesser Verrat
»Ich muss mich fertig machen«, sagte er. »Sorry, ich erzähl dir die Geschichte später. Hey, glaub mir, Kim ist zwar eine Naturgewalt, aber sie zieht weiter wie ein Sturm. Eve wird eine Zeit lang fasziniert sein, aber Kim wird schon bald jemand Neues finden. So läuft das immer bei ihr.«
Claire hatte das starke Gefühl, dass er ihr nicht alles gesagt hatte. Eigentlich hatte er ihr überhaupt nichts gesagt. Doch er ließ ihr auch keine Zeit nachzuhaken, sondern räumte einfach seine Gitarre in ihren Kasten und ging nach oben.
»Fertig machen«, wiederholte sie. Ihre Wut war noch immer nicht ganz abgeflaut. »Ja, alle müssen irgendwohin, nur ich nicht. Du solltest Kim kennenlernen; sie ist interessant.« Claire legte eine Menge Spott hinein, als sie Michael nachäffte. »Ja, klar.«
Die Hintertür ging auf und fiel wieder ins Schloss. In der Küche knarrten Dielen und Claire nahm den köstlich rauchigen Duft von Gegrilltem wahr. Unwillkürlich musste sie lächeln – bei dem Gedanken an Gegrilltes.
Und bei dem Gedanken an denjenigen, der es brachte.
»Hey«, sagte Shane. Er lehnte sich über das Sofa, um auf sie hinunterzustarren. Sein Haar war länger und sah noch zotteliger aus, so als hätte er die widerspenstigsten Stellen mit einer Schere traktiert. Oder einer Heckenschere. Eigentlich hätte das furchtbar aussehen müssen, aber an ihm... sah es irgendwie unwiderstehlich aus.
Nicht dass sie in irgendeiner Weise voreingenommen wäre.
»Hey«, antwortete sie und hob die Hand, damit er einschlagen konnte. Stattdessen nahm er sie und küsste sie zart.
»Warum das trübselige Gesicht? Habe ich vergessen, irgendetwas zu sagen?«
»Von dir reicht mir schon ein Hey.« Sie seufzte. Sich über Kim zu beschweren, hatte nicht die große Erleichterung gebracht, die sie sich erhofft hatte. Michael war bestenfalls unschlüssig gewesen und sie hatte keinen Grund anzunehmen, dass es bei Shane anders sein würde. »Ich habe einfach nur schlechte Laune.«
»Das muss ich sehen.« Shane beugte sich vor und starrte ihr in die Augen. »Wow. Ja, das ist beängstigend, ich sehe, dass du nur noch einen Wimpernschlag vom Ausflippen entfernt bist, Hannibal Lecter.«
Sie seufzte. »Vor mir hat niemand Angst.«
»Nee. Keiner. Und das ist auch gut so, Claire.«
»Sagt der Typ, der allen Angst macht.«
Shane dachte darüber nach und lächelte langsam. Sie mochte es, wie sich sein Mund beim Lächeln auf einer Seite weiter nach oben zog als auf der anderen und dass sich dabei ein kleines Grübchen bildete. »Dir mache ich keine Angst, oder?«
»Na ja, ein bisschen vielleicht.«
»Ich werde daran arbeiten, dieses bisschen verschwinden zu lassen«, sagte er. »Wo wir gerade von Angst einjagen sprechen, wie geht es deinem durchgedrehten Boss?«
»Weiß nicht, war nicht dort, ist mir egal«, sagte sie. »Mein Gesicht tut weh.«
»Du bläst also Trübsal, weil dein Gesicht wehtut?«
»Ich bin hässlich und keiner liebt mich.«
»Falsch«, sagte er, »so was von falsch.« Er küsste wieder ihre Finger und dieses Mal blieben seine Lippen warm und lange auf ihrer Haut. »Macht sich Michael fertig?«
Claire atmete verärgert aus. »Ja. Alle gehen irgendwohin, nur ich nicht und... was?« Denn sie erntete einen verblüfften Blick.
»Der Auftritt an der TPU? Er spielt heute? Rappelvoller Laden? Erinnerst du dich?«
Oh, Mist. Nein, das hatte sie ganz vergessen und jetzt fühlte sie sich noch schlechter, wenn das überhaupt möglich war. »Ich bin so blöd«, sagte sie. »Oh Mann. Ich habe wegen Kim herumgejammert wie eine Zweijährige. Ich hatte ganz vergessen, dass er sich für den Auftritt sammelte.«
»Kim?« Shane war auf einmal hellwach. »Kim. Gothic Kim?«
»Ja, wie heißt sie überhaupt mit Nachnamen? Die seltsame Kim, meine ich.«
»Wo hast du Kim kennengelernt?«
»Eve. Sie spielen wohl zusammen in dem Stück?«
»Oh, shit«, sagte Shane. Seine Miene änderte sich und wurde vorsichtig. »Du hast mit ihr gesprochen?«
»Ich war es nicht wert, dass man mit mir redete.«
Täuschte sie sich oder flackerte Erleichterung in seinem Gesicht auf? »Wahrscheinlich besser so. Sie spinnt irgendwie.«
»Irgendwie?« Claires Augen wurden schmal. »Bist du mit ihr ausgegangen?«
Seine Augen wurden groß und er schwieg eine fatale Sekunde lang, bevor er sagte: »Nein... nicht direkt. Nein, ich... nein.«
»Hattet ihr etwas miteinander?«
Er setzte zu einer Antwort an, schüttelte dann aber den Kopf.
»Es ist sowieso egal«,
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