Bittersuesser Verrat
darin befindlichen Laptops hinwarf und sich der Länge nach auf das Sofa fallen ließ. Michael hielt mitten im Akkord inne und sie spürte, wie er sie anstarrte, aber sie schaute nicht zu ihm hinüber. Schließlich fing er wieder an zu spielen. Die Musik hüllte sie ein, sie war schön und kompliziert, und während Claire so dalag und sich auf ihre Atmung konzentrierte, fühlte sie, wie die Anspannung in ihr nachließ. Es war zwar immer noch ein schrecklicher Tag, aber wenn Michael spielte, konnte sie nie allzu zornig sein.
»Nun«, sagte er, ohne von den Bünden seiner Gitarre aufzuschauen, während er eine komplizierte Flut neuer Klänge ausprobierte, »ich spiele mit dem Gedanken, auf E-Gitarre umzusteigen. Was hältst du davon?«
»Eve hat mich ausgebootet. Ich wurde als beste Freundin abgelöst.«
Michaels Gitarrenspiel stockte kurz, dann wurde es wieder flüssig. »Ich nehme an, das heißt Nein?«
»Da ist dieses Mädchen, Kim. Kennst du sie?« Michael nickte, sagte jedoch nichts. Claire spürte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. Sie streckte sie bewusst und vorsichtig wieder aus. »Also diese Kim, sie scheint perfekt zu sein und so weiter. Ooooh und sie ist Künstlerin. Und Eve und sie scheinen alles gemeinsam zu haben und ich bin nur - die Außenstehende, die die Witze nicht kapiert.«
»Ich habe Kim kennengelernt«, sagte Michael. Seine Stimme war neutral und er hielt seinen Blick auf die Gitarre gesenkt. »Sie ist wie ein schwarzes Loch; sie zieht die Leute direkt aus ihrem Orbit heraus. Eve ist immer noch deine Freundin. Sie ist nur völlig hingerissen von Kim, weil die früher nie etwas mit ihr zu tun haben wollte.«
»Aber was steckt denn hinter der ach so fantastischen Kim?« Er zuckte mit den Achseln und warf ihr einen kurzen, schwer entzifferbaren Blick zu. »Sie ist aufs OLOM gegangen, deshalb kenne ich sie nicht so gut.«
»OLOM?«, wiederholte Claire.
»Oh, ich habe ganz vergessen, dass du nicht hier aufgewachsen bist. Our Lady of Mystery, eine katholische Schule auf der anderen Seite der Stadt, die von den furchteinflößendsten Nonnen geleitet wird, die du je gesehen hast. Soviel ich weiß, ist Kim mit vierzehn aus der Schule abgehauen. Sie ist wohl die flippige Künstlerin am Ort und ist eher geneigt, dir den Mittelfinger zu zeigen als dir die Hand zu geben.«
»Wetten, dass sie voll schlecht ist?«
Michael sah aus, als würde er sich bemühen, ein Lächeln zu unterdrücken. »Kunst ist immer subjektiv. Für dich mag sie schlecht sein.«
»Findest du nicht?« Claire spürte, wie sich ihre Laune verschlechterte. Oh, großartig, natürlich mochte Michael Kim auch. Shane mochte sie wahrscheinlich nicht nur, sondern war auch schon mit ihr ausgegangen und war insgeheim in sie verliebt. Claire Danvers, die Neue, war wahrscheinlich die Einzige, die Kim nicht so toll fand.
Michael brachte die Saiten seiner Gitarre zum Schweigen, indem er seine flache Hand darauf legte. Er lehnte sich zurück und sah sie endlich an. »Du solltest sie kennenlernen«, sagte er. »Sie ist... interessant. Du darfst ihr bloß nicht zu nahe kommen.«
»Sie hat mich wie den letzten Dreck behandelt!«
»Das sieht ihr ähnlich«, stimmte er zu. »Wusstest du, dass sie mal einen Vampirangriff überlebt hat, als sie sechzehn Jahre alt und obdachlos war?«
Claire schluckte, was immer sie gerade hatte sagen wollen, hinunter, weil es bissig und sarkastisch rübergekommen wäre. Stattdessen sagte sie: »Wie hat sie überlebt?«
»Sie hat den Vampir, der versucht hatte, sie auszusaugen, umgebracht. Sie hätte hingerichtet werden können - Stadtgesetze. Stattdessen wurde sie freigesprochen. Kein Gefängnisaufenthalt. Brandon war darüber nicht glücklich - er war damals die Nummer zwei und kam gleich nach Amelie -, aber er musste es schlucken. Also eigentlich gibt es nur zwei Menschen in Morganville, die jemals einen Vampir getötet haben und damit durchgekommen sind.«
»Kim und wer noch?«
Michael zog die Augenbrauen nach oben. »Wusstest du das nicht?«
»Was weiß ich nicht?«
»Richard Morrell«, sagte er.
»Ernsthaft?« Richard Morrell war inzwischen Bürgermeister von Morganville, gehörte zu den drei wichtigsten Leuten der Stadt und es wollte Claire einfach nicht in den Kopf, dass die Vampire es zugelassen hatten, dass er... damit einfach durchkam. »Wann?«
Michael hatte keine Zeit zu antworten, weil sein Handy anfing, »Born to Be Wild« zu spielen. Er zog es heraus und schaute auf das Display.
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