Bittersuesser Verrat
ob er uns wirklich sehen wollte.«
Claire nickte. Die Menge im Raum war noch immer geschäftig und der Geräuschpegel war hoch. Niemand würde bemerken, dass sie am Telefon war; es mussten Hunderte oder mehr sein, die in den Sitzreihen aufblitzten, als die Leute sich zu ihren Freunden gesellten, plauderten und Verabredungen ausmachten.
Claire drückte auf Kurzwahl, um den Vampir anzurufen. Sie erreichte nur die Mailbox. Oliver machte sich nicht die Mühe, seinen Namen zu nennen, sondern forderte den Anrufer nur auf eine Nachricht zu hinterlassen, was sie auch tat. Dann stellte sie das Handy auf Vibrationsalarm.
Shane schaute immer wieder zu der Tür, durch die sie hereingekommen waren, und Claire unterdrückte das Bedürfnis, mit den Zähnen zu knirschen. »Du machst dir Sorgen um sie?«, fragte sie, wobei sie versuchte, ihre Stimme neutral zu halten.
»Wir haben sie mit Pennywell allein gelassen«, sagte er. »Verdammt. Ich dachte, sie kommt uns nach.«
Nun, Kim war ihnen nicht gefolgt. Claire versuchte, besorgter zu wirken, aber sie konnte bestenfalls ein mattes Gefühl der Verärgerung aufbringen. Und das sah ihr ganz und gar nicht ähnlich; eigentlich versuchte sie ständig, selbst für die schlimmsten Leute irgendwelche Entschuldigungen zu finden, aber irgendwie konnte sie sich einfach nicht auf Kims Seite stellen.
Doch sie wusste, was richtig war. »Wir sollten gehen und nach ihr schauen.«
»Nein«, sagte Shane. »Du bleibst hier. Ich gehe nur nachschauen, ob sie da draußen ist. Ich möchte nur sichergehen, dass bei ihr alles in Ordnung ist.«
Weil du dir ganz und gar nichts aus ihr machst, dachte Claire, aber sie war klug genug, das für sich zu behalten. Sie nickte nur. Shane ließ ihre Hand los. Dann machte er sich auf den Weg zur Tür, öffnete sie und sah nach draußen. Er zögerte einen Augenblick, dann ließ er sie zufallen und kam zurück. »Nicht da«, sagte er.
»Wer von beiden?«
»Beide.« Shane klang angespannt und das konnte sie ihm nicht verübeln. Er neigte dazu, sich viel aufzubürden, und wenn Kim irgendetwas Schlimmes zustieße, würde er das als sein persönliches Versagen betrachten, was Blödsinn war, aber so tickte Shane eben. »Ich muss...«
»Du musst was?«
Das war Kim, die sich von hinten an Claire herangepirscht hatte.
Claire kniff die Augen zu und hätte vor Frustration - nicht vor Erleichterung - fast geschrien, aber sie schaffte es, sich zu beherrschen, sich umzudrehen und sehr ruhig zu sagen: »... sichergehen, ob bei dir alles in Ordnung ist. Aber das ist es ja offensichtlich.«
Kim sah sie einen Moment an; dann breitete sich allmählich ein wissendes Lächeln auf ihren Lippen aus. »Offensichtlich«, schnurrte sie geradezu. Dann wanderte ihr Blick - und ihr Lächeln - zu Shane. »Du hast dir Sorgen um mich gemacht? Das ist ja süß, aber der Transen-Vamp da draußen wollte mir nichts tun.«
»Warum nicht?«, fragte Claire.
Kim zuckte mit den Schultern. »Ach, du weißt schon... verdammt, ich habe dich wirklich Ewigkeiten nicht gesehen, Collins. Was hast du so getrieben?«
»Nicht viel«, sagte er und griff wieder nach Claires Hand. »Unsere Sitzplätze sind da unten. Sorry. Danke, dass du da draußen eingegriffen hast.«
»Klar«, sagte Kim. »Bis später dann.«
Ihre Sitzplätze waren weit vorne, und als sie sie erreichten, gingen gerade die Lichter aus. Claire blickte sich um, konnte Kim aber nirgends in den Schatten sehen.
»Ich glaube, ich kann dieses Mädchen echt nicht leiden«, sagte sie.
Shane küsste sie leicht auf die Finger. »Sei nicht eifersüchtig. Ich steh nicht auf sie. Weder jetzt noch später.«
Claire wünschte, sie könnte das glauben, aber ein kleiner, komplizierter Teil von ihr war sich noch immer allzu sehr ihrer eigenen Unzulänglichkeiten bewusst.
Dann ging ein Spotlight an, die Lichter im Saal erloschen und Michael, begleitet von einem plötzlichen aufbrandenden Applaus, kam auf die Bühne, doch er war nicht der Michael, den Claire kannte - er war nicht der, der im Wohnzimmer herumhing, Videospiele spielte, auf seiner Gitarre herumklimperte und schreckliche Western für gemeinsame Filmabende aussuchte.
Das hier war jemand völlig anderes.
Jemand, der beinahe Furcht einflößend war, wie er das Rampenlicht auf sich zog und nicht mehr losließ. Vorhin hatte er gut ausgesehen, aber jetzt sah Claire, was schon immer Michael Glass' Bestimmung gewesen war: auf der Bühne zu stehen. Das Licht verwandelte sein Haar in strahlendes
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