Bittersuesser Verrat
geriet...
»Myrnin?« Sie trat einen Schritt weg von der Portaltür des Labors und schob dabei eine Bücherkiste zur Seite, die Myrnin hatte herumstehen lassen. Wahrscheinlich sollte sie die Bücher in die Regale räumen. Von ihm selbst war aber keine Spur zu sehen. Das Labor war immer noch sauber und einigermaßen organisiert, was Myrnin auch in seinen besten Zeiten absolut nicht ähnlich sah. Sie fragte sich, ob er irgendeinen Reinigungsservice beauftragt hatte. Aber wer putzte schon die Schlupfwinkel verrückter Wissenschaftler? Dieselben Leute, die die Verstecke von Verbrechern und Fledermaushöhlen sauber machen?
Weit und breit kein Myrnin, aber er hatte ihr in seiner spitzen, alten Handschrift eine Nachricht hinterlassen, in der er sie wie erwartet darum bat, die Bücher in der Kiste, die er als Stolperfalle für sie hinterlassen hatte, zu sortieren. Und Bob, die Spinne, zu füttern. Bäh. Warum überraschte sie das überhaupt noch? Claire begann, die Bücher auszupacken, zu sortieren und auf das Regal zu stellen, was erstaunlicherweise Spaß machte. Sie hoffte bloß, dass das Universum endete, bevor sie tatsächlich eine Spinne füttern musste.
Sie war gerade mit den Büchern beschäftigt, als vor ihr Adas zweidimensionaler Geist sichtbar wurde. Claires Herz begann, doppelt so schnell zu schlagen, und sie fragte sich, ob sie zum Portal hinüberstürzen sollte... aber Ada machte keine drohenden Bewegungen. Tatsächlich war Ada höflich - sie rief Claire auf dem Handy an. Eigentlich wäre das nicht nötig gewesen, um die Lautsprecher zu benutzen. Es war ihre Version von Anklopfen.
Claire schluckte den säuerlichen Geschmack von Angst hinunter und schaute auf den verblichenen Rücken des schweren Buches in ihrer Hand hinunter. Deutsch. Sie war sich nicht sicher, was das für ein Buch war. »Kannst du Deutsch?«
Ada schob das Kinn nach vorne und bedachte sie mit einem hochmütigen Blick. Dabei strich sie die Vorderseite ihres Kleides glatt, das in verschiedenen Grautönen gehalten war. »Natürlich«, sagte sie. »Das ist ja wohl kaum eine aussterbende Sprache.«
Ich muss Spinnen füttern und mich mit einem zickigen, gemeingefährlichen Computer herumschlagen. Mein Job ist echt mies. Claire sagte das nicht laut, und soweit sie wusste, konnte Ada keine Gedanken lesen. Noch nicht. »Gut. Kannst du mir sagen, was das bedeutet?« Sie hielt Ada den Buchrücken hin. Der Geist beugte sich vor.
»Alchemistische Experimente des großen Magisters Kleiss«, las sie und ihre blecherne Stimme klang ein wenig traurig, als sie vibrierend aus Claires Handylautsprecher drang. »Myrnin hat bereits eine Ausgabe davon. Ich erinnere mich, dass ich sie auf einem kleinen Markt bei Frankfurt für ihn gekauft habe.«
Claire legte das Buch beiseite. Ada schien in seltsamer Stimmung zu sein - verletzlich, streitlustig und irgendwie nostalgisch. »Du hast versucht, mich umzubringen«, sagte Claire. »Du hast mich angelogen und versucht, mich dazu zu bringen, durch das Portal zu gehen, damit ich gefressen werde. Warum?«
Ein eigenartiger Ausdruck huschte über Adas glattes, nicht ganz menschliches Gesicht. Wenn Claire es nicht besser gewusst hätte, hätte sie gedacht, es wäre... Unsicherheit? »Das habe ich nicht getan«, sagte sie. »Das hast du missverstanden.«
»Das ist nichts, was man eben mal missversteht«, sagte Claire. »Als Beweis habe ich eine Stehlampe, die in zwei Hälften gehackt wurde, als ich das Portal zuschlagen musste. Fällt es dir jetzt wieder ein?«
Ada schaltete einfach ab. Nicht buchstäblich: Ihr Geist hing immer noch in der Luft und tanzte ein wenig auf und ab, als wäre die Schwerkraft nur ein lästiger Vorschlag und kein Naturgesetz. Ein Flackern durchzuckte ihr Abbild wie bei einer atmosphärischen Störung. Dann gleich noch einmal.
Danach lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Du solltest einen Arzt aufsuchen«, sagte sie. »Ich glaube, du bist krank, Mensch.«
»Du erinnerst dich nicht mehr daran?« Claire hörte die blanke Ungläubigkeit in ihrer eigenen Stimme, aber was sie eigentlich empfand, war... Angst. Pure, kalte Angst. Ada konnte lügen – das hatte sie schon früher bewiesen -, aber das hier fühlte sich nicht wie eine Lüge an.
Es fühlte sich an, als würde etwas ganz gewaltig nicht stimmen. Und wenn mit Ada etwas nicht stimmte, dann war mit Morganville etwas nicht in Ordnung.
»Da gibt es nichts zu erinnern«, sagte Ada kühl. »Soll ich noch etwas übersetzen oder kann ich jetzt
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