Bittersuesser Verrat
brüllte.
***
Ada konnte also wirklich Dinge anfassen. Claire wünschte, sie hätte diesen Gedanken ernster genommen.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf kaltem, feuchtem Stein und spürte, wie kleine klamme Füße über ihren Arm huschten – wahrscheinlich Ratten. Sie hoffte, dass es keine Kakerlaken waren.
Es war dunkel - vollkommene, samtige Dunkelheit hatte sich auf sie gesenkt wie ein erstickendes Tuch. Als sie sich bewegte, hörte sie in der Ferne das Scharren von Schuhen.
Eine Höhle. Wahrscheinlich nicht Adas Höhle, weil Claire das typische Zischen und Klirren von Adas Zahnrädern und Rohren nicht hören konnte. Es muss nicht unbedingt ihre Höhle sein, rief Claire sich ins Gedächtnis. Ada konnte jedes beliebige Portal innerhalb Morganvilles - oder darunter - öffnen. Der stümperhaften, rohen Art nach zu urteilen, mit der sie es im Glass House getan hatte, konnte sie es aber offensichtlich nicht lange aufrechterhalten.
Ihre Selbstbeherrschung ließ nach, obwohl ihre schiere Macht immer stärker wurde.
»Ada«, sagte eine Stimme aus der Ferne - sie war schwach und leise. »Ada, du musst mich gehen lassen. Ich befehle dir, mich gehen zu lassen.«
»Nein.« Adas Stimme kam von überall und nirgends; dieses Mal aber nicht aus Claires Handy. Claire klopfte auf ihre Taschen, aber sie hatte nichts dabei - keine Waffen, kein Handy. Ada hatte ihr alles abgenommen. »Du gehst nirgendwohin. Ich habe all die Jahre gewartet, weißt du? So viele Jahre habe ich darauf gewartet, dass du mich liebst.«
»Ada bitte.« Myrnin klang sehr schwach; Claire konnte kaum glauben, dass es wirklich er war. »Ich liebe dich doch. Ich habe dich immer geliebt. Bitte hör auf damit. Du weißt nicht, was du da tust Es geht dir nicht gut. Lass mich dir helfen...«
Er verstummte mit einem erstickten Keuchen. Sie hatte ihm wehgetan - und es brauchte eine ganze Menge, um Myrnin wehzutun.
Claire rappelte sich langsam auf, legte die Hände an die nächste Steinwand und begann, in der Dunkelheit herumzutasten.
»Wohin soll es denn gehen?«, fragte Adas Stimme direkt hinter ihr, als würde sich der Computer über Claires Schulter beugen. Claire schrie auf und schlug wild mit der Hand um sich, aber da war nichts. »Ich habe dich hierhergebracht, damit ich dich ein für alle Mal loswerden kann. Und gleichzeitig kannst du dazu beitragen, dass es Myrnin besser geht. Ist das nicht clever von mir?«
Ihre Stimme löste sich in seltsame Klänge auf - eigentlich war es keine richtige Stimme mehr, sondern es waren bloße Geräusche. »Wie kannst du sprechen?«, fragte Claire. »Du verwendest gar nicht mein Handy.«
»Spielt das eine Rolle?«
»Nein«, sagte Claire. Sie klang viel weniger ängstlich, als ihr eigentlich zumute war, was wahrscheinlich ganz gut war. »Ich hin nur neugierig.«
»Du wärst wohl noch auf deine eigene Autopsie neugierig«, sagte Ada und brach in ein verzerrtes Gelächter aus, wild und völlig außer Kontrolle. »Das würde ich ja zu gerne sehen.«
»Wo ist Myrnin?«
»Wag es nicht zu versuchen, ihn mir wegzunehmen!« , kreischte Ada. Das Echo erfüllte die Höhle, wurde zurückgeworfen und vervielfältigt, bis Claire sich die Ohren zuhalten musste. Sie konnte die Schallwellen auf ihrer Haut spüren, wie von den Lautsprechern auf einer Technoparty. »Er gehört mir. Er hat schon immer mir gehört. Ich werde ihn niemals aufgeben. Niemals!«
»Ich versuche nicht, ihn dir wegzunehmen!«, schrie Claire. »Ich will nur wissen, ob es ihm gut geht!«
Der Ton brach ab, einfach so. Sogar das Echo. Claire ließ langsam ihre Hände sinken und berührte wieder die Wand. Sie hatte Angst, sich zu bewegen, ohne sie unter ihren Fingern zu spüren, weil absolut nichts zu sehen war. Nicht mit menschlichen Augen jedenfalls.
»Claire?« Das war wieder Myrnins Stimme, sie kam von rechts vor ihr. Er klang schwach und besorgt. »Du musst hier raus. Bitte geh.«
»Das ist irgendwie keine Option«, antwortete sie. »Es sei denn, Ada will ein Portal für mich öffnen...?«
Ada lachte leise.
»Sieht nicht so aus.« Claire machte ein paar Schritte vorwärts, aber das hatte zur Folge, dass sie nicht mehr wusste, aus welcher Richtung Myrnins Stimme gekommen war. »Myrnin, ich kann nichts sehen. Ich versuche jetzt, zu Ihnen zu kommen, aber Sie müssen weiterreden, okay?«
»Komm nicht«, sagte er. »Versuch nicht, zu mir zu gelangen, Claire, ich bitte dich, bleib, wo du bist. Verschwinde von hier, wenn du kannst. Komm nicht in meine
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