Bittersüßes 7. Jahr
glaubt immer, das sei eine besonders nette Schmeiche lei. Viel Spaß denn!
Heinz.
Peter Sacher warf den Brief zwischen Aschenbecher und Lippenstift auf den Tisch und lehnte sich zurück. Nachdenklich ging sein Blick über die beklebten Wände, die Galerie schöner Frauen und abge rutschten Geschmacks; dann öffnete er seinen Hemdkragen und zog den Schlipsknoten tiefer.
Es war schwül in der Wohnung. Die Fenster waren geschlossen, die Jalousien halb heruntergelassen. Das Geruchsgemisch lag wie klebriges Gas über allem und drückte auf den Kehlkopf.
Das also war Paris! Da ist man nun in einer sogenannten ›Künstlerwohnung‹, hat sechs Wochen Ferien von Frau, Doppelbett und … Der Gedanke Doppelbett war ihm unbehaglich. Sabine hatte mittlerweile drei Nächte bereits in einem Doppelbett geschlafen, ohne daß Dr. Portz genaue Angaben machen konnte, wer in den zweiten Kissen lag! Das war beschämend, erregend, zermürbend und zum Explodieren.
Peter nahm sich vor, nach dem Frühstück gleich in Düsseldorf anzurufen. Mißmutig starrte er auf den Brief Kletows und auf die Reste junggeselliger Freizeitgestaltung. In was hatte er sich da eingelassen? Die galanteste Stadt der Erde stellte sich ihm hausbacken vor: eine Küche voller ungespülten Geschirrs, ein Wohnzimmer mit abgerissenem Strumpfband, das jeder Fantasie freien Lauf ins Ungezügelte ließ, ein noch nicht betretenes Schlafzimmer, vor dem Peter eine unbekannte Scheu empfand, wie ein Forscher, der vor einer neu entdeckten Grabkammer steht, und die Aussicht, das Leben eines Kneipenbesitzers führen zu müssen.
Was macht man eine Woche allein in Paris? Man stirbt vor Langeweile. Man kann kein Französisch, versteht nicht, was man liest, kann nicht sagen, was man will und wird es so tun, wie alle Provinzler, die nach Paris kommen: Man stellt sich auf den Place de l'Opéra, wartet dort, bis einer der Touristenwagen hält, und schließt sich einer Rundführung an.
Louvre, Tuilerien, Invalidendom, Notre-Dame, Sacré-Cœur, Arc de Triomphe, Eiffelturm, Panthéon, Montmartre (mit leisem Schauer über dem Rücken, denn man hört ja soooo viel von ihm, sogar in der Oper wird's besungen), Père Lachaise, die Champs-Elysées. Der übliche Weg mit kleinen Trinkgeldern für die jeweiligen Diener, Verwalter, Erklärer und Hinausführer. Abends dann ins Moulin Rouge, abgeschirmt gegen alle Anfechtungen, weil die Ehefrauen der anderen Geführten wachen Auges dabeisitzen und mit dem Kopf schütteln und »ksss ksss« machen vor sittlicher Empörung und nicht sehen, wie ihren Männern das Wasser im Munde steht. Vorher natürlich zwei Stunden Promenadenbesichtigung vom Café de la Paix aus mit Kommentaren über die neue Mode. Am nächsten Tag ein kühner Blick in die Palmenhalle des Ritz.
Ça ç'est Paris – Schauderhaft!
Peter erhob sich ächzend aus dem Sessel, nahm das abgerissene Strumpfband vom Tisch, roch daran, es duftete nach Rosen und süßem Laster, räumte dann die Gläser, den Lippenstift (er roch nach Himbeeren), die Puderdose (sie roch nach Kirschen), die vollen, überlaufenden Aschenbecher auf einen Teewagen und fuhr alles in die Küche.
Das Becken des Spültisches lief über von nicht abgewaschenem Geschirr. Es mußte von einer Woche sein, denn soviel Unrat kann auch ein Mann wie Heinz v. Kletow nicht an einem einzigen Tag hinterlassen. Es sei denn, sein Abgang war die Schlußpointe einer Orgie.
»Beginnen wir das Pariser Leben!« sagte Peter laut. Er sah in einen Spiegel, der über dem Küchenherd hing, und kam sich blöd wie nie vor. Dann band er sich eine Schürze um, die an einem Haken neben dem Schrank baumelte, ließ aus dem Boiler heißes Wasser in eines der Becken laufen, schüttete etwas Seifenpulver, das in einem Paket neben der Spüle stand, ins Wasser und begann, das Geschirr abzuwaschen.
Wie macht es Sabine, dachte er. Zuerst die nicht fettigen Teile, vor allem die Gläser. Dann die anderen Dinge, zuletzt die Bestecke in frischem Wasser.
Das erste Glas zersprang ihm in der Hand. Er nahm es ihm nicht übel, denn er hatte sich die Hände verbrannt. Das Wasser war zu heiß. Er ließ in einem scharfen Strahl kaltes Wasser zulaufen. Erstaunt sah er, daß das Wasser zu schäumen begann, daß der Schaum immer dichter und höher wurde, über den Beckenrand quoll, den Waschtisch hinablief wie eine Flut geschlagener Sahne. Das Seifenpulver, natürlich, dachte er. Er legte die Gläser in den Schaum, wo sie ins Grundlose versanken, drehte dann den
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