Bittersüßes 7. Jahr
damit die Hitze nicht in den Raum flutete. Sabine zog sie zurück. Vor ihr breitete sich der weiße Sandstrand aus, bespickt mit Strandkörben und gestreiften Strandzelten.
Sabine drehte sich weg und betrachtete das Zimmer. Ein großer Doppelschrank, doppelte Waschbecken, um einen runden Tisch zwei Sesselchen, das Doppelbett, doppelte Nachttischlampen, doppelte Handtücher, Zahngläser, doppelte Bettvorleger, doppelte Speisekarten für den Abend, alles doppelt.
»Hier werde ich verrückt«, sagte Sabine leise und setzte sich auf das Bett.
Ihr Blick fiel auf einen handgemalten Spruch, der neben der Tür hing. Es war eine Holzscheibe, auf die man geschrieben hatte:
Des Lebens ganze Würze ist, daß du mal froh und lustig bist.
Sie sprang auf, riß die Gardine zurück und stieß die breiten Fensterflügel weit auf. Der warme Seewind blies ins Zimmer und zerzauste ihre Haare. Sie beugte sich hinaus, tief atmend, als ersticke sie in diesem Zimmer, in dem alles doppelt war.
Dort unten ist der Strand, dachte Sabine. Dort springen sie herum, braun, lebenslustig, fern aller Sorgen, ganz Kinder in Gottes Hand. Ihr Lachen übertönt das Brausen des Meeres; die Buntheit ihrer Bälle und Badeanzüge sind wie Tupfen auf einer riesigen Leinwand. Und ich stehe hier am Fenster, starre wie ein Sträfling hinab in das Leben und warte, warte.
Warten? Auf was eigentlich? Auf ein Wunder? Es gibt keine Wunder mehr. Früher war die Liebe ein Wunder, der erste Kuß, das erste große Erleben, das Glück, gemeinsam zu sein. Aber dann kam der Alltag, und in einer siebenjährigen Ehe gibt es keine Wunder mehr. Vielleicht nur noch eins, würde Peter in seinem bitteren Sarkasmus sagen: Das Wunder, daß alles sieben Jahre lang gedauert hat.
Sabine trat vom Fenster weg und sah zurück ins Zimmer. Das breite Doppelbett erschreckte sie plötzlich. Zu Hause in Düsseldorf hatte jeder sein eigenes Schlafzimmer. Nie hatten sie daran gedacht, daß ein Haus noch so groß und weit sein kann, wenn nur die Ehebetten wenig Platz einnahmen. Vielleicht hatte man alles falsch gemacht, von Anfang an. Nicht Ferien von der Ehe wären nötig gewesen, um die Trägheit aus ihrem Zusammensein zu schütteln, sondern Ferien in der Ehe mußten es sein! Eheferien zu zweit, allein irgendwo in der Einsamkeit, fern aller Telefone und Briefträger, Zeitungen und Radios. Dort hätte sich vielleicht finden lassen, was sie suchten: sich selbst.
Sabine schüttelte den Kopf. Sie band das Seidenband neu um ihre zerzausten Locken. Nicht daran denken. Hier ist Borkum. Und man ist allein mit einem Doppelbett.
Sie packte die Koffer aus und legte sich dann auf die Daunendecke des Bettes, die Arme unter dem Nacken verschränkt. An der weißgetünchten Decke spiegelte sich die Sonne in bizarren, durch das Gardinenmuster aufgerissenen Formen.
Müdigkeit überfiel Sabine. Trauer, Einsamkeit, Schmerz, alles drückte sie nieder.
Aber auch Trotz.
Sie begann zu grübeln.
Es gibt erwiesenermaßen auf der Welt nichts Gefährlicheres als eine grübelnde Frau. Was Helden nicht wagten, was Philosophen nicht erdachten, was selbst Politikern nicht einfiel (gibt es noch eine Steigerung?), das gebiert der Haß im Hirn einer grübelnden Frau.
Zwischen Melancholie und Weltzerstörung schwingt der Pendel des rätselhaften menschlichen Gemütes. Als Agrippina grübelte, starb Claudius wenig später an Gift. Das Grübeln einer Dubarry kostete Ludwig den Kopf.
Männer – laßt eure Frauen nie grübeln!
Sabines Grübelei war allerdings einfacherer Natur und frei von zerstörerischen Elementen. Sie dachte nur an Rache.
Es sollte eine absolut weibliche Rache werden, aufgebaut auf die natürlichen Reize, die Gott dem Weibe schenkte.
Peter in Paris, sie in Borkum. Das gleicht sich aus. Wenn er ein Mädchen küßt, ohne daß ihm das Gewissen schlägt, dann durfte auch sie die Lippen spitzen.
Auch auf dieser Insel wird es Männer geben, die zu gerne einer Sabine Sacher nette Worte ins Ohr und unter die Schläfenhärchen flüstern.
Sie sprang vom Bett hoch und eilte an den Schrank, in den sie gerade ihre Kleider gehängt hatte. Sie zog sich um. In einem Seidenkleid mit großem, blutrotem Klatschmohn auf weißem Grund stand sie dann vor dem Spiegel und drehte sich. Ihre schönen, noch weißen Schultern lagen frei über dem rotbordigen Ausschnitt.
Ich habe eine schöne Haut, dachte sie. Manches zwanzig Jahre jüngere Mädchen würde froh sein, sie zu haben. Es würde gerne ein paar Jahre hergeben
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