Bittersüßes 7. Jahr
entdeckte!
Er blickte zur Seite auf die näherkommende Stadt Borkum. Zeit seines Lebens hatte er gehungert. Nie hatte er Freude gekannt, nie konnte er sagen: Ich bin glücklich. Das Studium hatte er sich mühsam durch Nachhilfestunden verdient. Seine Bude, ein Zimmerchen unter dem Dach, direkt unter den mit Zement verschmierten Dachpfannen, bezahlte eine Fabrik, in der er in den Semesterferien Schrauben drehte und Federn stanzte. Das war in Bonn so und auch in Heidelberg. Immer war er außerhalb gestanden, sehnsüchtig zwar, aber sich abfindend mit dem Schicksal, der arme Sohn einer noch ärmeren Witwe zu sein. Nie hatte er feste Freunde, denn die wollten alle etwas erleben, nie konnte er einen Kommers besuchen, nur eins hatte er immer, und das verließ ihn nicht bis zu dem Tage, an dem er auf Kosten seiner Firma nach Borkum fahren durfte: Er hatte Hunger, nach einem Braten, nach Schönheit, nach Geld, nach Leben, manchmal auch nach Liebe.
Nun aber war er Ermano Ferro, Autohändler aus Genua. Sein Bankkonto schien astronomisch zu sein. Er konnte alles haben, was sein Herz begehrte. Es gab keine Schranken mehr, hinter denen das Wunderland der erfüllten Wünsche lag. Nur eine trübe Wolke zog über allem Glück hinweg: Wieder, wie bei seiner armseligen Studentenbude, bezahlte es ein anderer. Zwar nur sechs Wochen lang … Aber seit siebzehn Jahren waren es immer nur Wochen, in denen er einmal durch die Gunst anderer frei von Sorgen sein durfte. Er kam sich wie ein Ausgehaltener vor, wie eine Dirne des Schicksals.
Die Kleinbahn hielt schnaufend am Kurmittelhaus. Ein Lichtermeer umfing Ermano Ferro. Das kannte er von Düsseldorf her, aber die großen Hotels, die lange gläserne Wandelhalle, die Cafés und Bars, das Spielkasino, das Kurtheater, die Strandpromenade und die weißen Villen, dieser ganze konzentrierte Reichtum auf ein paar Quadratmetern, umfing Bornemeyer wie mit eisernen, hemmenden Klammern.
Nicht klein werden, sagte er zu sich. Nur nicht wieder zurückfallen in die Welt subalterner Nickemänner. Einem Ermano Ferro imponiert dieser Reichtum gar nicht, er findet ihn höchstens fade.
Ein Boy der Pension ›Seeschwalbe‹ nahm seinen Koffer in Empfang. Er fragte nicht lange, denn einen Ferro konnte man nicht übersehen. Reichtum hat eine Ausstrahlung, die von einer 1.000-Watt-Birne nie erreicht wird.
Während der Boy vor Ferro zur Pension trabte und sich ausrechnete, was er wohl von dem schwerreichen Italiener an Trinkgeld bekommen würde und was man sich dafür kaufen sollte, wandelte Bornemeyer unter den sprechenden Blicken junger und älterer alleingehender Damen über die erleuchteten Straßen, ab und zu sein Bärtchen streichelnd, mokant lächelnd und Abenteuerversprechungen ausstreuend.
Die ›Seeschwalbe‹ war ein Zweigunternehmen des ›Seeadlers‹. Sie hatten den gleichen Besitzer, die gleichen Ansichtskarten, das gleiche ›bürgerliche Essen‹ und die gleichen vornehmen Gepflogenheiten. Pension ›Seeschwalbe‹ hatte dementsprechend auch eine besondere Kategorie von Stammgästen: Höhere Beamte, pensionierte Gerichtsräte, Prokuristen mittlerer Betriebe und Geschäftsleute mit Filialen.
In diese lautere Gesellschaft mit gediegenen Ansichten und moralischem Korsett trat nun ein Millionär! Das war eine Sensation, die die Direktion nicht nur zu würdigen wußte, sondern etwas aus der Fassung brachte.
Als vor einem Tag der italienische Millionär Ermano Ferro sich aus Düsseldorf anmeldete, auf Empfehlung eines Freundes, sagte er noch, hatte die Direktion der ›Seeschwalbe‹ bedenkenlos zugesagt. Ein solcher Fisch an der Angel wiegt mehr als drei verärgerte Postinspektoren. Das ist nun mal so im Leben, daß mit dem Angebot die Moral abnimmt.
»Wir werden das schon regeln«, sagte die Direktion, als der Geschäftsführer der ›Seeschwalbe‹ händeringend den Ausverkauf des Hauses meldete. »Wir werden einen anderen Gast woanders unterbringen.«
»Aber wenn der Gast nicht will?«
»Er wird wollen! Wir werden ein besseres Zimmer anbieten, in einem Luxushotel! Wir schaffen es schon.«
Das dachte die Direktion. Um einen Renommiergast zu bekommen, muß man Opfer bringen. Außerdem würde man alle Mehrausgaben auf sein Essen aufschlagen. Das war einfach. Der speziell zu seiner Bedienung angewiesene Kellner würde bei jeder Rechnung lediglich das Tagesdatum dazurechnen.
Abgesehen davon würde man von allen anderen Pensionen beneidet werden, es sprach sich herum, wer in der
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