Bittersüßes 7. Jahr
lange Reihe der weißen Villen entlang. Breite Fenster mit Jalousien, Palmen, hinter Markisen sich leise summend drehende Ventilatoren. Es mußte herrlich sein, in einem solchen Haus zu wohnen.
Er dachte an seine eigene Villa am Rhein, und es wurde ihm wehmütig ums Herz.
»Irgendwo müssen wir ja schlafen!«
»Das werden wir auch!« Heinz v. Kletow sah hochmütig auf ein paar Amerikaner, die an ihnen vorbeigingen. »Zunächst, wieviel Geld kannst du ausgeben?«
»Nichts!«
»Du witzelst, Freund.«
»Ich bin blank.«
»Aber du hast doch einen gutgehenden Beruf! Du hast am Rhein …«
»Zähle nichts auf. Ich habe im Augenblick kein Geld. Bis es kommt, können drei Tage vergehen. In diesen drei Tagen aber können wir doch nicht auf einer Bank schlafen!«
»Dir fehlt das wahre Genie! Wir werden nicht nur schlafen, sondern sogar ruhen! Was Millionäre mit Scheckbüchern erkaufen, bekommen wir für 3 Francs: fließendes Wasser, Nachtmusik, Klimaanlage, Meeresrauschen, kostenlose Vorführungen von Liebespaaren bis zur jugendgefährdenden Darbietung. Es ist doch kein Bonner Staatsanwalt hier?«
»Nein«, sagte Peter Sacher verwundert.
»Alles für 3 Francs!«
»Blödsinn!«
»Tja, da staunte selbst der Krebs, bevor er ins kochende Wasser fiel und rot wurde. Wir werden in Nizzas bester Gesellschaft schlafen! Ein Luxusschlaf für drei Francs!«
»Und wo ist das Hotel?«
»Am Strand.«
Peter Sacher setzte sich auf eine der weißen Holzbänke an der Promenade und streckte die Beine von sich. Heinz v. Kletow blieb stehen. Er hatte zwei Mädchen kommen sehen.
»Also ein Strandhotel?« fragte Peter. »Muß ja ein Wunderhotel sein! Für 3 Francs! Oder hast du dem Geschäftsführer etwa auch Coucou avisiert?«
»Mitnichten! Du greifst nur wieder zu hoch in deinen Erwartungen. Unser Hotel wird ein Strandkorb sein!«
Als sei die Bank durch einen elektrischen Strom geladen worden, zuckte Peter empor.
»Du bist wohl völlig geistig ausgerutscht? Ein Strandkorb?«
»Bitte, ereifere dich nicht! Wer es nicht kennt, sollte sich überraschen lassen. Eine Nacht im Strandkorb am Strand von Nizza ersetzt sieben Sittenfilme.«
»Schlafen will ich!« rief Peter.
»Auch das kann man. Eingewiegt vom Gemurmel der Wellen und dem Schmatzen küssender Mädchen.«
»Mein Gott, hast du nichts anderes im Sinn?!«
Heinz v. Kletow hob die breiten Schultern. »Ein Lebenskünstler hält sich immer am Mittelpunkt des Lebens.«
»Ich kenne Erstrebenswerteres: ein eigenes Heim, eine liebe Frau.«
»Wie Sabine!« sagte Heinz gehässig.
»Genau! Das Leben, das du führst, ist ekelhaft!«
»Peter, der Moralist! Nach ›Peter und der Wolf‹ ein neues Märchen! Wie sieben Jahre Ehe einen Menschen wie dich verändern!« Er winkte ab, als Peter Sacher erneut auffuhr und etwas dazwischenrufen wollte. »Lassen wir das Thema. Wärest du Schriftsteller, würdest du in einem nächtlichen Strandkorb den Stoff von zehn Romanen bekommen! Alle die reichen, vornehmen Herren und die hochgeschlossenen sittsamen Damen des Nachts allein im Mondschein, man erkennt sie kaum wieder! Es gibt da soziologische Studien.«
»Du kannst sagen, was du willst: Ich schlafe nicht wie ein Landstreicher in einem Strandkorb!«
»Es wird uns nichts anderes übrigbleiben.«
»Ich will ein richtiges Bett!«
»Der biedere Muffelbürger! Oben ein Daunendeckchen, unten ein Daunendeckchen.« Heinz v. Kletow hieb Peter auf die Schulter. »Verhätschelt die Ehe einen Mann so sehr, daß er wie ein Baby nach seinem Bettchen schreit? Kerl, wo ist der Peter Sacher geblieben, der in München auf der Universität dem Germanistikprofessor beweisen wollte, daß das Wort Mist eng mit dem Wort Most verwandt sei, weil beides in Gärung übergehe? Was ist davon geblieben?«
»Wir sind immerhin fünfzehn Jahre älter geworden!«
»Körperlich. Jedes Jauchefaß nutzt sich ab. Aber unser Herz ist doch jung, verdammt noch mal! Komm mit in den Strandkorb! Vielleicht lernst du heute nacht schon einen nackten Millionär kennen, dem du ein Schloß für 2 Millionen bauen darfst! Von unserer ›Villa‹ kann man die besten Beziehungen knüpfen. Man sieht dann die Menschen ohne die Maske, die sie tagsüber tragen.«
Peter Sacher hob resignierend die Schultern. »Es wird uns nichts anderes übrigbleiben.« Er griff in seine Gesäßtasche und holte das Portemonnaie hervor. Heinz v. Kletow zählte mit, als Peter die wenigen Francs durch die Finger gleiten ließ.
»87 Francs und 33 Centimes «,
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