Bittersweet Moon
während sie
sich vor dem großen Spiegel die Lippen rot schminkte.
"Erzähl
mir noch schnell was von deinem Neuem, ich weiß noch gar nichts",
versteckte sie nicht länger ihre Neugier, als sie den Lippenstift zudrehte und
ihn in die kleine Samttasche steckte. Als Gesangslehrerin wurde Frau Spencer
zur einer Vertrauensperson und kümmerte sich auch um persönliche
Angelegenheiten und Probleme ihrer Studenten. Eine gut funktionierende
Beziehung zwischen einem Gesangspädagogen und seinem Studenten ist meistens
sehr persönlich und intensiv, genauso wie die Arbeit an der Stimme, die ja ein
sehr intimer und komplexer Vorgang ist. Deswegen war es nicht überraschend,
dass sie meistens alles über unser Privatleben wusste und sich dafür auf ihre
unaufdringliche, herzliche Art auch interessierte. Ich überlegte kurz, was ich
ihr über Robin verraten durfte. "Er ist ihr Landsmann, lebt hauptsächlich
in New York und in Florida. Er ist auch ein Musiker, aber kein klassischer, er
singt Rockmusik und ist sehr erfolgreich. Leider ist er verheiratet und unsere
Beziehung muss geheim bleiben", versuchte ich mit knappen Worten etwas
über Robin zu erzählen.
"O
Gott, das klingt aber kompliziert!", erschrak sie und schaute mich besorgt
mit ihren klugen, grünen Augen an. Sie selbst war mit einem verheirateten
Dirigenten liiert und kannte das Problem nur zu gut. "Du wirst es nicht
leicht haben, das kann ich dir aus Erfahrung sagen", warnte sie mich und
faltete die Stirn dabei.
"Ich
weiß, Frau Spencer, ich mache mir nichts vor. Ich versuche das beste daraus zu
ziehen, ohne mir leere Hoffnungen zu machen. Er wird seine Frau niemals
verlassen, es ist nur eine Affäre zwischen uns, aber ich genieße sie und bin
glücklich damit, was er mir bietet", erklärte ich ihr und versuchte vernünftig
und cool zu klingen. Sie durfte nicht wissen, wie sehr ich Robin liebte...
"Das
ist gut so, du bist scheinbar nüchtern genug, um nicht zu viel zu erwarten“,
nickte sie erleichtert. „Du bist noch jung, genieße einfach die schönen
Augenblicke mit ihm, so lange du nicht dabei leidest. Werde ich ihn heute
sehen?"
"Nein,
er möchte unerkannt bleiben, er ist zu berühmt, um sich mit mir öffentlich
zeigen zu dürfen. Jemand könnte ihn fotografieren oder was darüber für die
Presse schreiben. Das erschwert unsere Beziehung noch zusätzlich",
bedauerte ich selber Robins zwangsläufige Vorsichtsmaßnahmen und senkte betrübt
meinen Blick.
"Wow,
ein Rockstar! Das ist ja aufregend! Er sieht bestimmt gut aus, stimmt's?"
lächelte Frau Spencer aufmunternd als sie meinen Unmut vernahm.
"Ja,
es ist wirklich aufregend! Und er sieht einfach umwerfend aus! Er würde Ihnen
bestimmt gefallen", geriet ich gleich ins Schwärmen und meine Stimmung
erhellte sich wieder. Gemeinsam kicherten wir wie zwei Freundinnen.
"Jetzt
ist aber Schluss mit Männergeschichten, du musst dich auf die Mimi
konzentrieren", ermahnte mich Frau Spencer mit gespielter Strenge, als sie
auf ihre Uhr schaute. „Wir sollten langsam runter gehen. Komm, ich muss dir
noch toi, toi, toi sagen!" Ich ließ mir noch von ihr über die Schultern
spucken und gemeinsam verließen wir den Raum und die erste Etage. Sie ging
direkt in den Zuschauerraum, ich aber öffnete die eiserne Tür, die in den
Bereich hinter der Bühne führte.
"Diana,
komm noch mal zu Lily", rief mir der Regieassistent Sebastian im
Vorbeilaufen zu. Ich befolgte seine Aufforderung und Lily schaute mich noch mal
prüfend an.
"Alles
in Ordnung, du musst nur aufpassen, wenn du was trinkst, dass du dir dabei
nicht die Schminke verschmierst". Es war ihr gut bekannt, wie wir Sänger
ständig an unseren Getränkeflaschen nippen, um die Stimme feucht zu halten.
Noch vorsichtiger trank ich meinen Tee aus der Thermoskanne und aß dazu einen
Keks. Mehr brauchte ich nicht, ich verspürte keinen Hunger. Ich fühlte mich so
weit. Mit der Kerze in der Hand begab ich mich hinter die Bühne und wünschte
meinen Kollegen toi, toi, toi, die auch schon da standen und warteten, dass die
Musik endlich anfängt und uns von der nervenzerrenden Warterei erlöste. Ich war
froh darüber, erst jetzt hierher angekommen zu sein, das Warten auf den
Auftritt macht einen einfach mürbe. Die Luft, die ich tief ein- und ausatmete
roch nach Theater, nach Staub, nach Aufregung und nach Abenteuer und wirkte auf
mich wie eine wohldosierte Adrenalinspritze. Durch eine Spalte im dicken
Vorhang spähte ich kurz in den Saal, aber durch die Dunkelheit konnte ich
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