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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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hatte null über Leos Anfälle und Nattys Albträume gewusst. Hätte er auch nicht gewollt – auf gewisse Weise war das Desinteresse eine der besten Eigenschaften von Gable.
    »Was ist?«, fragte Win.
    Ich sagte ihm die Wahrheit. »Du weißt zu viel über mich.«
    »Hm«, machte er. »Am schlausten wäre es wahrscheinlich, mich umbringen zu lassen.«
    Ich lachte. Man könnte meinen, dass ich mich durch so einen Witz beleidigt fühlte, doch bei Win war das nicht so. Irgendwie wäre es sogar schlimmer gewesen, wenn er meinen gesamten Hintergrund ignoriert hätte. »Nein«, entgegnete ich. »Das hätte mein Vater voreilig gefunden. Er hätte gesagt, ich solle erst mal abwarten und herausfinden, ob du vertrauenswürdig bist.«
    »Oder ich erzähle dir im Gegenzug all meine Geheimnisse«, sagte Win. »Dann würdest du dir keine Sorgen machen müssen, dass ich was ausplaudere, weil du genug in der Hand hättest, um für mein Schweigen zu sorgen. Wir säßen im selben Boot.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Eine interessante Theorie, aber ich denke, ich halte mich ans Abwarten und Tee trinken.«
    »Nicht gerade mutig«, bemerkte Win.
    Ich erklärte ihm, dass ich nicht sehr mutig, sondern, entgegen dem Anschein, höchst altmodisch sei.
    »Ja«, sagte er. »Das merke ich. Schade, weil ich nichts dagegen gehabt hätte, wenn du meine Geheimnisse hüten würdest. Ich habe noch nicht sehr viele Freunde in dieser Stadt.«
    Dort im Flur konnte ich mir gut vorstellen, wie schön es wäre, ihn zu küssen. Ganz vorsichtig könnte ich ihn auf seine geschwollene Wange küssen und mich von da zu seinen Lippen vorarbeiten. Aber das war nicht drin. Deshalb räusperte ich mich und entschuldigte mich abermals für die verrückte Nacht.
    »Gerne wieder«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
    Ich weiß nicht, warum, doch ich blieb stehen und schaute ihm nach. Wollte ich vielleicht einen letzten Blick auf das erhaschen, was mir entging? Als er in den Fahrstuhl stieg, rief ich: »Gute Nacht, Win!«
    »Eigentlich ist es schon Morgen«, erwiderte er, und die Türen schlossen sich hinter ihm.

    Scarlet ging nach dem Mittagessen nach Hause. »Danke, dass du bei meinem zum Scheitern verurteilten Plan mitgemacht hast, Win zu verführen«, sagte sie, als ich auch mit ihr auf den Fahrstuhl wartete. »Du bist wirklich eine gute Freundin, weißt du?« Sie räusperte sich und sprach dann beiläufig weiter. »Für mich ist es in Ordnung, wenn du was von ihm willst. Er mag dich auf jeden Fall.«
    »Möglich«, sagte ich. »Ich bin aber gerade nicht auf der Suche nach einem Freund.«
    »Egal, wenn es so weit ist, sollst du bloß wissen, dass ich mich nicht irgendwie blöd anstelle. Unserer Freundschaft wird es keinen Abbruch tun, wenn du irgendwann doch was von ihm willst. Ich weiß, wie schwer du es hast, Annie …«
    »Bitte, Scar, sag so was nicht!«
    »Doch. Du sollst wissen, wie wichtig du mir bist. Und dass ich dir nie im Weg stehen würde bei einem Jungen, der mich eh nicht mag. Du hast einen wirklich netten Freund verdient – es muss vielleicht nicht zwangsläufig Win sein, aber auf jeden Fall auch keinen Typ wie Gable Arsley.«
    »Scarlet! Das ist doch lächerlich!«
    »Ich habe auch einen netten Freund verdient«, sagte sie noch, bevor die Fahrstuhltüren sie verschluckten.
    Der restliche Samstag verlief ruhig, es gelang mir endlich, meine Schularbeiten zu erledigen, wozu unter anderem ein elend langer Artikel über Zähne gehörte. Darin las ich, dass Win wahrscheinlich recht hatte mit dem abgenutzten Zahnschmelz. Unsere Testperson war krank gewesen, und nach der Größe des Schadens zu urteilen, schon sehr lange. Ich überlegte, ob ich ihn anrufen sollte, um ihm das zu sagen, doch ich entschied mich dagegen. Die Information war auch Montag noch frisch, und ich wollte ihn nicht auf falsche Gedanken bringen.

VI.
    Ich empfange zwei unwillkommene Gäste und werde mit jemandem verwechselt
    Am Sonntag bekamen wir Besuch von zwei Gästen, auf die ich gut und gerne hätte verzichten können.
    Der erste war Jacks. Ohne Anmeldung tauchte er auf, als ich gerade von der Kirche kam.
    Ich öffnete die Tür. »Was willst du?«
    »So empfängst du deine Verwandten?« Er trug eine große Holzkiste vor sich her. »Ich bin extra hergekommen, um Galina etwas zu bringen. Sie hat gesagt, sie hätte nicht mehr viel von Balanchine Extra Herb.«
    »Du weißt doch, dass du so was nicht in aller Öffentlichkeit herumtragen sollst«, ermahnte ich ihn. Ich nahm ihm die Kiste

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