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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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zu lügen. »Gable Arsley wollte mit mir schlafen, und als ich ablehnte, versuchte er es trotzdem. Das Einzige, was ihn davon abhielt, war mein Bruder, der ins Zimmer kam.«
    Cranford beugte sich zu Frappe hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ich meinte zu sehen, wie seine Lippen das Wort Motiv bildeten. Eine Rundung bei Mo , in die Breite gezogen bei tiv . Motiv. Ha, natürlich hatte ich ein Motiv.
    »Würden Sie sagen, Sie waren wütend auf Gable Arsley?«, schaltete sich Cranford nun ein.
    »Ja, aber nicht, weil er mit mir schlafen wollte. Ich war sauer, weil er überall eine ganz andere Version der Geschichte rumerzählt hat. Deshalb habe ich ihm die Lasagne über den Kopf gekippt. Davon werden Sie schon gehört haben, aber falls nicht, wird die Rektorin Ihnen sicher sehr gerne Näheres berichten.« Ich überlegte. »Ich möchte hier eines klarstellen: Ich habe Gable Arsley nicht vergiftet. Und wenn Sie mich noch irgendwas fragen möchten, müssen Sie das tun, wenn mein Anwalt anwesend ist. Sie wissen wahrscheinlich, wer mein Vater war, aber meine Mutter war selbst bei der Polizei. Ich kenne meine Rechte.« Ich erhob mich. »Bekomme ich jetzt die Erlaubnis, zurück in die Klasse zu gehen?«

    Der Korridor war zwar leer, doch ich konnte mir nicht sicher sein, dass ich nicht beobachtet wurde. Ich tat so, als würde ich zum Englischunterricht gehen, lief dann aber an der Tür vorbei und trat nach draußen in den Hof. Endlich fühlte es sich nach Herbst an. Normalerweise hätte die neue Jahreszeit mich glücklich gemacht.
    Ich überquerte den Hof und ging in die Kapelle, suchte dort das Büro der Sekretärin. Es war leer, wie ich erwartet hatte – die Sekretärin war in der vergangenen Woche entlassen worden. Ich griff zum Telefon, gab eine Nummer ein, mit der ich eine Amtsleitung bekam (man sollte mich gar nicht erst fragen, woher ich sie kannte), und rief zu Hause an. Leo nahm ab.
    »Bist du allein?«, fragte ich ihn.
    »Ja, ich hab immer noch Kopfschmerzen, Annie«, sagte er.
    »Ist Imogen da?«
    »Noch nicht.«
    »Ist Nana wach?«
    »Nein. Was ist denn? Du hörst dich komisch an.«
    »Hör zu, Leo, es könnte sein, dass bald jemand bei dir vorbeikommt. Du brauchst keine Angst zu haben.«
    Er schwieg.
    »Leo, wenn du nickst, kann ich dich nicht hören. Wir sprechen am Telefon miteinander.«
    »Ich hab keine Angst«, sagte er.
    »Es gibt etwas sehr Wichtiges, das du tun musst«, fuhr ich fort. »Aber du darfst niemandem davon erzählen, schon gar nicht den Leuten, die eventuell gleich auftauchen.«
    »Gut«, sagte Leo, aber es klang alles andere als zuversichtlich.
    »Hol die Schokolade aus Nanas Schrank und wirf sie in die Verbrennungsanlage.«
    »Aber Annie!«
    »Das ist wichtig, Leo! Wir könnten Ärger bekommen, weil wir sie besitzen.«
    »Ärger? Ich will nicht, dass jemand Ärger bekommt«, sagte er.
    »Bekommt auch keiner. Aber vergiss nicht, auf den Feuerknopf zu drücken. Und pass auf, dass Nana dich nicht erwischt.«
    »Ich glaube, das schaffe ich.«
    »Hör mir gut zu, Leo. Ich komme heute vielleicht erst spät nach Hause. Wenn ich nicht komme, ruf Mr. Kipling an. Er weiß, was zu tun ist.«
    »Du machst mir Angst, Annie.«
    »Tut mir leid. Ich erklär dir das alles später«, sagte ich. »Hab dich lieb.«
    Ich drückte die Daumen, dass es Leo gelang, die Schokolade loszuwerden, bevor die Polizei vor der Tür stand und die Wohnung durchsuchte.
    Ich legte auf und rief Mr. Kipling an. »Heute war die Polizei bei mir in der Schule. Mein Exfreund wurde vergiftet, und sie glauben, ich sei es gewesen«, erklärte ich, sobald er sich meldete.
    »Bist du immer noch auf Holy Trinity?«, fragte Mr. Kipling nach einer kurzen Pause.
    »Ja.«
    »Ich komme sofort rüber. Kopf hoch, Anya, das kriegen wir schon hin.«
    In dem Moment wurde die Tür des Sekretariats aufgestoßen. »Hab sie!«, rief Detective Jones. »Sie ist am Telefon!« Dann sagte er zu mir: »Wir werden Sie zur weiteren Befragung mit aufs Revier nehmen müssen. Ihr Freund ist gerade ins Koma gefallen. Die Ärzte meinen, er könnte sterben.«
    »Exfreund«, sagte ich ruhig.
    »Anya?«, fragte Mr. Kipling. »Bist du noch dran?«
    »Ja, Mr. Kipling«, erwiderte ich, »könnten Sie wohl stattdessen zum Polizeirevier kommen?«

    Ich hatte keine Angst vorm Polizeirevier. Dennoch war ich nicht gerade begeistert, in einem festgehalten zu werden. Auch wenn ich inmitten von Kriminellen groß geworden war, hatte man mich selbst noch nie eines Verbrechens

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