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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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beschuldigt.
    Die Beamten führten mich in einen Raum. Die hintere Wand war verspiegelt, und ich nahm an, dass auf der anderen Seite Leute waren, die mich beobachteten. Unter der Decke hing eine Neonröhre, die Heizung schien angestellt zu sein, obwohl es vom Wetter her nicht nötig war. Die Polizisten saßen auf der einen Seite des Tisches, ich auf der anderen. Sie hatten einen Wasserkrug. Für mich gab es nichts zu trinken. Ihre Stühle waren gepolstert, meiner war ein Klappstuhl aus Metall. Der Raum war ganz offensichtlich darauf ausgerichtet, dem Beschuldigten (in diesem Falle mir) ein unangenehmes Gefühl zu vermitteln. Armselig.
    Es waren dieselben Detectives wie in der Schule: Frappe und Jones, nur Cranford war nicht dabei. Wie immer übernahm Frappe den Großteil des Gesprächs.
    »Ms. Balanchine«, begann sie, »wann haben Sie Gable Arsley zum letzten Mal gesehen?«
    »Ich werde keine Fragen beantworten, solange mein Anwalt Mr. Kipling nicht eingetroffen ist. Er müsste bald –«
    In dem Moment öffnete Mr. Kipling die Tür des Vernehmungszimmers. Er hatte eine Glatze und war leicht untersetzt, aber hatte unglaublich freundliche (wenn auch etwas hervortretende) blaue Augen. Mr. Kipling schwitzte und war kurzatmig, doch ich war noch nie in meinem Leben so froh darüber gewesen, einen bestimmten Menschen zu sehen. »Entschuldigung, bin zu spät«, flüsterte er mir zu. »Saß im Stau fest, bin einfach ausgestiegen und zu Fuß gelaufen.« Mr. Kipling wandte sich an die beiden Beamten. »Ist es wirklich notwendig, ein nicht vorbestraftes sechzehnjähriges Mädchen auf ein Polizeirevier zu schleppen? Ich finde das etwas übertrieben. Genauso wie die Temperatur in diesem Raum!«
    »Sir, dies ist eine Ermittlung wegen versuchten Mordes, und Ms. Balanchine wurde vollkommen nach Vorschrift behandelt«, sagte Frappe.
    »Fraglich«, sagte Mr. Kipling. »Eine Minderjährige in der Schule zu befragen, ohne dass ein Vormund oder ein Rechtsbeistand zugegen ist, erscheint mir grenzwertig. Ich persönlich kann nicht umhin, mich zu fragen, warum die NYPD einen Jungen mit Magenschmerzen unbedingt zu einem versuchten Mordfall machen will.«
    »Besagter Junge liegt im Koma. Er stirbt vielleicht, Mr. Kipling. Ich würde Ms. Balanchine nun gerne weiter befragen, da es eine Frage der Zeit ist«, sagte Frappe.
    Mr. Kipling nickte.
    »Ms. Balanchine, wann haben Sie Gable Arsley zuletzt gesehen?«, wiederholte Frappe ihre Frage.
    »Sonntagabend«, sagte ich. »Er kam zu mir.«
    »Aus welchem Grund?«, fragte Frappe.
    »Er sagte, es täte ihm leid, was zwischen uns vorgefallen sei, er wollte weiterhin mit mir befreundet sein.«
    »Sonst nichts?«, hakte sie nach. »Gab es keinen anderen Grund, weshalb er vorbeikam?«
    Ich wusste, worauf es hinauslief.
    Die Schokolade.
    Natürlich war es die Schokolade. Es war immer die Schokolade. Ich hatte sie von Leo nur deshalb entsorgen lassen, weil ihr Besitz verboten war und ich meiner Familie keinen Ärger hatte bereiten wollen, falls die Polizei auf die Idee käme, unsere Wohnung zu durchsuchen. Aber was, wenn sie glaubten, ich hätte Gable mit der Schokolade vergiftet? Dann sähe es so aus, als hätte ich meinen Bruder angewiesen, Beweismaterial zu vernichten. Daran hätte ich denken sollen. Ich hätte gründlicher überlegen sollen, aber es war nicht genug Zeit gewesen. Alles war so schnell gegangen.
    Und zu meiner Verteidigung: Gable Arsley war nicht gerade ein Pfadfinder, der täglich Gutes tat. Er war ein verfressener, reicher Kerl, der regelmäßig verbotene Substanzen zu sich nahm. Wer konnte schon wissen, in was er sich hineingeritten hatte? Außerdem hatte ich keinen Grund, an der Schokolade meiner Familie zu zweifeln. Schokolade war zwar zeit meines Lebens verboten gewesen, aber ich hatte mir nie Sorgen gemacht, sie könne vergiftet sein. Meinem Vater war die Qualitätskontrolle immer sehr wichtig gewesen, aber andererseits war er schon ziemlich lange nicht mehr der Chef von Balanchine Chocolate.
    »Ms. Balanchine!«, mahnte Frappe.
    Ehrlichkeit war die einzige Lösung. »Ja, es gab noch einen Grund. Gable wollte wissen, ob ich Schokolade im Haus hätte.«
    »Und, hatten Sie?«
    »Ja«, sagte ich.
    Frappe flüsterte Jones etwas zu.
    Mr. Kipling warf ein: »Bevor Sie beide ganz aufgeregt werden, würde ich Sie gerne daran erinnern, dass die Balanchine-Familie Verbindungen zum Schokoladen-Im- und -export hat. Sie produziert eine Marke von Schokoriegeln unter dem Namen Balanchine

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