bK-Gruen, Sara
das gar nicht
in den Sinn gekommen. Und jeden Tag war die Arbeit anders, begegnete er neuen
Menschen, hörte er eine andere Geschichte und bekam wieder eine Chance, die
Leute zu unterhalten oder über etwas zu berichten, das es aufzudecken galt.
«Die Aufgabe einer Zeitung ist es, denen Genuss zu bringen, die viel zu
erleiden haben, und denen Leid zu bringen, die zu viel genießen» war ein
Aphorismus, den sein damaliger Chef gerne zitierte. Freilich gehörten die
Zeitungen jetzt selbst zu den Leidenden. Aber wer war er, dass er seiner Frau
eine unverhoffte Gelegenheit verwehren durfte?
Ob hinter
der Serie tatsächlich ein seriöses Angebot steckte, sollte leicht
herauszufinden sein, anhand einer schriftlichen Abmachung oder eines Vertrags -
aber was dann? Alle Welt wusste, dass jede Fernbeziehung am Ende zerbrach. John
hatte fast sein halbes Leben mit Amanda verbracht, und in vieler Hinsicht war
es durch sie bestimmt. Die Vorstellung, ohne sie zu sein, machte ihm Angst. Die
Vorstellung, dass sie von einer ausbeuterischen Männerschar belagert wurde,
machte ihm noch mehr Angst. Sie war eine schöne Frau und momentan so
empfindlich wie ein wundgescheuerter Nerv.
John
drehte das Kaviarlöffelchen in seiner Hand und betrachtete es. Es war aus
Perlmutt. Amanda musste es eigens für diesen Anlass gekauft haben. Er tauchte
es in den schimmernden Kaviarhügel und schob sich ein wenig davon in den Mund.
Ihm war nicht wohl dabei, etwas so Kostspieliges, von dem es so wenig gab,
einfach hinunterzuschlucken, darum behielt er es einen Moment lang im Mund und
ließ die Perlen dann zwischen Zunge und Gaumen flutschen. Der Geschmack war
köstlich, und er kam zu dem Schluss, dass er es wohl richtig gemacht hatte. Er
nahm noch ein Löffelchen. Und noch eins.
Wie lange
konnte es schon dauern, vier Folgen zu produzieren? Nach sechs Monaten wäre
sie wahrscheinlich schon wieder wohlbehalten zu Hause. Nicht, dass er ihr
wünschte zu versagen - sie hatte den Erfolg mehr verdient als sonst jemand.
Nachdem
sie mit einer Abschlussarbeit über die soziologischen Folgen der Industriellen
Revolution am Beispiel der Werke von Elizabeth Gaskell ihr Examen mit summa cum
laude bestanden hatte, hatte Amanda die Zeit zwischen Universität
und dem Umzug nach Philadelphia damit verbracht, Werbetexte für einen
Online-Shop zu verfassen, der Sportbekleidung vertrieb. Sie arbeitete acht
Stunden am Tag, bemüht, auf treffende und innovative Weise Mukluk-Boots und
Allwetterparkas anzupreisen («Stylischer als Ugg, mit einem Hauch von Piperlime
und garantiert hundertprozentig katzenfellfrei!»). Sie scherzte, ihre Lage
könnte schlimmer sein - ihre beste Freundin Gisele, die als Erste in ihrem
Jahrgang Examen gemacht hatte, hatte einen Job als Anstreicherin angenommen
und vor kurzem einen Mann geheiratet, der mit einer Gruppe von Rohköstlern
Seminare in Klangheilung abhielt -, doch John wusste, dass Amanda nur gute
Miene zum bösen Spiel machte. In ihrer Freizeit schrieb sie an ihrem ersten
Roman, war jedoch zu scheu, ihn John zu zeigen, bevor er fertig war.
Als er
ihn schließlich in den Händen hielt, wuchs Johns Unbehagen mit jeder Seite,
die er las. Er hoffte aus voller Seele, dass er sich irrte - jemand, der Dan
Brown und Michael Crichton zu seinen Lieblingsautoren zählte, konnte sich
sicherlich nicht Experte schimpfen -, und doch wurde er das Gefühl nicht los,
dass dem Roman das gewisse Etwas fehlte. Ihr Schreibstil war schön und
geschliffen und riss ihn mit, doch als er zum Ende kam, hatte es absolut keinen
Clou gegeben, keinen Autounfall, keinen Mord, keinen Geheimbund, keine globale
Heimsuchung. Es war ein psychologisch-literarischer Roman, und John wusste,
dass es Leute gab, die solche Bücher gerne lasen, doch er selbst war keiner von
ihnen, was höchst bedauerlich war, da seine Frau soeben ein solches geschrieben
hatte und seine Meinung hören wollte. Als sein Schweigen schließlich auffällig
wurde, log er weitschweifig das Blaue vom Himmel.
Als das
Manuskript seine Runde durch die New Yorker Verlagshäuser machte, ging es mit
Amanda - seiner ausgeglichenen, starken Amanda, die sich nie unterkriegen ließ
- bergab. Schlaflosigkeit stellte sich ein. Sie kaute an den Nagelhäuten, bis
sie bluteten. Sie kochte immer aufwendigere Mahlzeiten und aß selbst so gut wie
nichts. Sie litt unter ständigen Kopfschmerzen und beklagte sich zum
allerersten Mal über ihren Job. («Was ist falsch an ?
Sie wollten ausgefallene
Weitere Kostenlose Bücher