bK-Gruen, Sara
zwei Theorien: Entweder war sie noch immer wütend, weil sie ihn
einstellen musste, und band ihm aus Rache die kratzbürstigste Frau unter der
Sonne ans Bein, oder aber sie wollte ihre Star-Reporterin mit einer Reportageserie
in Verbindung bringen, die stark Pulitzer-Preis-verdächtig war. (Am Anfang
ihrer Karriere hatte es Cat in der Medienwelt mal zu Berühmtheit gebracht, weil
sie einen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Reporter hatte auffliegen
lassen, der eine Story über einen cracksüchtigen Achtjährigen zusammengelogen
hatte, und dann gewann sie selbst den Pulitzer-Preis dafür, dass sie die
Geschichte ans Licht brachte. Sie selbst war ebenfalls zum Gegenstand einer
Kontroverse avanciert, weil sie verdächtigt wurde, ihrem Reporterrivalen
gegenüber Verliebtheit geheuchelt und seine Dateien durchgesehen zu haben, als
sie allein in seiner Wohnung war.)
John
stellte erschrocken fest, dass er den Osietra-Kaviar bis zum letzten Krümel
aufgegessen hatte. Es war noch ein kleiner Rest Champagner in der Flasche, aber
er wollte sich den exquisiten Geschmack nicht von der Zunge spülen. Er wollte
mehr Kaviar. Er fuhr mit dem Finger über den Teller und leckte ihn ab.
Dann
stand er schwerfällig vom Fußboden auf und schloss die Haustür ab. Als er am
Dielentisch vorbeiging, sah er den Anrufbeantworter des Festnetztelefons
blinken. Fran, seine Schwiegermutter, hatte mehrere Nachrichten hinterlassen,
eine dringlicher als die andere. Offenbar hatte Amanda wenig Lust auf ein
Gespräch. John fühlte mit ihr. Ihre Mütter waren polare Gegensätze, aber beide
auf ihre Weise anstrengend. Wo Patricia sich in eisiges Schweigen zurückzog,
würde Fran ohne Skrupel seine Unterwäsche sortieren. Sie maskierte
Schadenfreude als Hilfsbereitschaft, Boshaftigkeit als Besorgnis und sammelte
unentwegt Neuigkeiten, um sie dem Rest der Sippe mitzuteilen. Für Fran war
nichts tabu.
John
löschte ihre Nachrichten.
Erst
morgens um zwei fiel John das Beef Wellington ein, und auch nur, weil er
glaubte, das Haus stünde in Flammen. Beim ersten Anzeichen von Rauch klappten
seine Augen auf. Amanda verharrte im Tiefschlaf.
John
stürmte die Treppe hinunter in die Küche. Qualm quoll aus den Ecken des
Backofens. John schaltete ihn aus, öffnete Fenster und Hintertür. Er nahm ein
Geschirrtuch und schwenkte es wie den Umhang eines Matadors, um den Qualm nach
draußen zu wedeln.
***
Vom Beef
Wellington war nur noch ein am Boden des Bratblechs festgebackenes verkohltes
Rechteck übrig. Die gewundene Teigranke, die Amanda gefertigt und obenauf
drapiert hatte, war am wenigsten verbrannt, darum pflückte John ein Blatt ab
und aß es. Er betrachtete das Kunstwerk - jedes Blatt war exakt sechs Mal
eingekerbt. Der Stängel wand sich um sich selbst, ein vollendeter Efeu aus
Teig.
Zu Beginn
ihres Zusammenlebens hatte Amanda ihnen beiden durch eine Improvisation mit Dosensuppen
eine Campylobacter-Vergiftung beschert. Ihre Zerknirschung war gewaltig, und
ihre Vorsätze waren noch gewaltiger: Sie wollte Gourmet-Köchin werden. John
hatte sich damals nicht viel dabei gedacht, doch rückblickend war dies das
erste Mal, dass er ihre unbändige Willenskraft erlebt hatte. Sie kaufte alle Bücher
von Julia Child, studierte sie eingehend und befolgte jede Anweisung. («Wenn
Julia sagt, den Broccoli schälen, dann schält man den Broccoli», sagte sie
betreten, als John sie es das erste Mal tun sah. Er brüllte vor Lachen, aber
nachdem er das Ergebnis gekostet hatte, stellte er nie wieder ein Kochritual in
Frage, und war es noch so bizarr.)
Heute
Abend hatte sie eine Handvoll rohen Blätterteig und alle Rankenblätter, die
ihren Anforderungen nicht genügten, zusammengerollt neben dem Schneidbrett
liegen gelassen. Überbleibsel von Eiern und Schalen waren auf der Anrichte
angetrocknet, ebenso zerbröselte Knoblauchschalen und Streifen von gewachstem
Butterpapier. Der Fußboden war mehlbesprenkelt. Jedes benutzte Gerät war an
genau der Stelle liegen geblieben, wo sie es zuletzt benutzt hatte.
John
drehte das Wasser auf und wartete, bis es heiß wurde. So müde er auch war,
Amanda sollte eine saubere Küche vorfinden, wenn sie am nächsten Morgen aufstand.
Isabel
war gefangen in einem Schwebezustand. Es war kein Schlaf; denn sie nahm die
Außenwelt wahr - sprechende Menschen, die aber nicht zu verstehen waren, ein
Brausen, wenn sie von einem Tunnel zum anderen schnellte - einer war orange,
einer blau und einer grün. Hände hantierten an
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