BKA - Die Jaeger des Boesen
teils sogar gefürchtet wurde, was als George Orwells Überwachungsstaat, übersetzt aus der literarischen Fiktion in die bundesdeutsche Wirklichkeit, interpretiert werden könnte, kritisierten Journalisten als einen Eingriff in die Bürgerrechte, nannten Kriminalisten beobachtende Fahndung. Sie war die ihrer Überzeugung nach beste Methode, die Terroristen der Rote Armee Fraktion aufzuspüren. Herold gewann deshalb innerhalb des Bundeskriminalamtes seine erste Schlacht. Diese Strategie
ließ so etwas wie einen neuen Company Spirit entstehen, der mit der altgewohnten Kameraderie, dem Corpsgeist, in dessen Namen auch Verfehlungen innerhalb der Kameradschaft Polizei gedeckt wurden, nichts mehr gemein hatte. Als das geschafft war, mussten dringend außerhalb des Amtes vorzeigbare Erfolge her, Siege dank beobachtender Fahndung.
Das gelang. Mit der kriminalistischen Technik, Bewegungsbilder zu erstellen, aufgrund deren Gewohnheiten und Reisen sowohl der RAF-Terroristen als auch ihrer klammheimlichen Unterstützer ermittelt werden konnten – und dies in Zeiten, da es noch keine Handys gab, deren Signale die jeweiligen Standorte oder Ziele ihrer Besitzer verrieten –, schaffte das Bundeskriminalamt einen Quantensprung an Effizienz. Er habe, sagt Herold, die Kriminalität benutzt als »Datenlieferant zu ihrer Bekämpfung«. Erfolgreich getestet im lokalen Rahmen der Stadt Nürnberg, wo er vor seinem Amtsantritt beim BKA Polizeipräsident gewesen war, wo er mittels Hochrechnung ermitteln ließ, wo in der Stadt laut Statistik die meisten Straftaten begangen worden waren, und genau da dann mit verstärktem Polizeieinsatz vor Ort die Kriminellen abschreckte.
Beim Bundeskriminalamt hatten jüngere Kommissare, die nicht zufällig Naturwissenschaften oder Mathematik studiert hatten, bevor sie sich bewarben, ihre Ermittlungen nicht in den üblichen zum Schnarchen langweiligen Berichten zu Papier gebracht, sondern mit ihren Informationen Schaubilder voller Tabellen und Grafiken erstellt. Das kam bei Staatsanwälten und Richtern in einem Prozess zwar gut an, weil sie neben den schriftlichen Gutachten zusätzliche Informationen bekamen, weil bildsprachig verständlich wurde, was zumeist in unverständlichen Sätzen aufgeschrieben worden war. Weniger Beifall kam von älteren Kollegen, die auf die klassische Art ermittelten, ihr Wissen im Kopf speicherten und für sich behielten, weil sie irgendwann, so wie sie es gelernt hatten, ihren eigenen Fall erfolgreich lösen und entsprechend belobigt werden wollten. Das verhalf dann auf die nächste Stufe der Beförderungsleiter.
Manche der Jungen malten anhand von Listen, die Namen und Spuren und Tatorte enthielten, ihre Schaubilder selbst. Computer mit den entsprechenden integrierten Tools wie heute gab es noch nicht. Die höchstamtliche Zeichenstelle des BKA war damit beschäftigt, Organigramme der Behördenstruktur zu erstellen. Einer dieser Kommissare war Max-Peter Ratzel: »Ich habe die Profis von der Zeichenstelle dann gebeten, ob sie diese amateurhaft selbst gemalten Übersichten in professionelle Zeichnungen umsetzen können. Da waren die sogar begeistert, weil das auch für die endlich mal was Neues war. Und für die Ermittlungen war es hilfreich, denn man konnte Kontaktbilder zeichnen, Bewegungsbilder erstellen und zeigen, wer war wann wo, wer hat wann wo wen getroffen, wo sind Lücken in den Aussagen, wo sind Unstimmigkeiten.«
Von einem eher intellektuellen Herangehen an Kriminalität musste der neue Mann an der Spitze des Amtes nicht erst überzeugt werden. Davon war er eh überzeugt. Ab 1971 hatte Horst Herold die Macht, seine Visionen durchzusetzen: »Im Grunde war das eine großartige Situation, ich konnte bei null anfangen.« Der von ihm angeordnete Einsatz modernster wissenschaftlicher wie technischer Methoden kam einer Kulturrevolution gleich. Auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft war nur die kriminaltechnische Abteilung. Die wurde zu einer entscheidenden Waffe gegen die Terroristen der Rote Armee Fraktion. Herold ließ Datenbanken aufbauen, um für die Fahndung möglichst viel Material zu haben, das sich auf Schaubilder, auf Bewegungsbilder übertragen ließ und die für die Suche nach den Mördern nötigen Erkenntnisse lieferte. Für solche Ermittlungshilfen sind unabdingbare Voraussetzung gute Daten und eine gute Software. Umzusetzen beides am besten in der Superbehörde Bundeskriminalamt. Was nicht heißt, dass die aus Wiesbaden besser sind als die aus der
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